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Interview - Yannick-Nézet-Séguin über Bruckner Stadt, Land, Kirche

Am 7., 8. und 9. Juli ist der Dirigent Yannick-Nézet-Séguin zu Gast beim BR-Symphonieorchester. Auf dem Programm steht Anton Bruckners Symphonie Nr. 7. Im Interview verrät Nézet-Séguin, was er in dieser Musik alles findet.

Yannick Nézet-Séguin | Bildquelle: Marco Borggreve

Bildquelle: Marco Borggreve

BR-KLASSIK: Yannick Nézet-Séguin, wer spricht für Sie aus Bruckners Siebter Symphonie: Gott, die Natur oder der Mensch?

Yannick Nézet-Séguin: In allen Bruckner-Symphonien gibt es einen religiösen Aspekt - ein mystisches, spirituelles Moment. Das spielt eine große Rolle. Aber auch der Mensch, der ganz einfach auf dem Land in Österreich lebt: Die Bäume, die Bäche, die Blumen, die Vögel, der Himmel, die Unwetter - all das vermischt sich auf sehr romantische Art mit den sehr menschlichen Zweifeln Bruckners und seinen Leidenschaften. Über letztere weiß man zwar nichts, aber wie jeder Mensch hatte er bestimmt seine Fantasien, Liebesgefühle, Sympathien oder Wunschträume. In dieser Siebten Symphonie fließt alles permanent ineinander: Kirche, Stadt und Land. Es geht um den betenden Menschen ebenso wie um den klagenden, den liebenden, auch um den, der lebt und atmet, der frohlockt und tanzt. Ich liebe alle seine Symphonien, aber die Siebte ist bestimmt die beliebteste. Sie hat eine sehr menschliche Seite. Während der Proben habe ich dem Orchester gesagt, dass man an Bruckner nicht mit Distanz oder Scheu herangehen darf, sondern sich auch darüber bewusst sein muss, dass es hier ganz einfach um den Menschen geht.

Impressionen von den Proben

Demut ist wichtig bei Bruckner

BR-KLASSIK: Was muss Ihrer Meinung nach ein Orchester mitbringen, um Bruckners Musik ideal interpretieren zu können?

Yannick Nézet-Séguin: Die Musiker müssen die Fähigkeit besitzen, sich als Individuum völlig dem großen Ganzen unterordnen zu können. Für mich ist ein Orchester, das Bruckner zu spielen weiß, ein Spitzenorchester, weil es die nötige Demut gegenüber dieser Musik zum Ausdruck zu bringen weiß. Das ist das wichtigste. Wenn ich bei einem Orchester auf diese Demut treffe, bin ich voller Bewunderung. Und beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist das so.

Jede Kleinigkeit muss passen

BR-KLASSIK: Wie probt man eine Symphonie, die über 70 Minuten lang ist?

Yannick Nézet-Séguin | Bildquelle: Marco Borggreve Yannick-Nézet-Séguin | Bildquelle: Marco Borggreve Yannick Nézet-Séguin: Das ist eine sehr gute Frage. Denn bei Bruckner ist die Struktur, die Architektur derart weit gefasst, dass man sich nicht ständig bei jedem einzelnen Takt oder Detail aufhalten darf. Man muss immer die große Linie vor Augen haben. Ich habe aber auch ziemlich schnell begriffen, dass das Verfolgen einer solchen großen Linie nicht heißen darf, die Details zu vernachlässigen. Im Gegenteil: Jede Kleinigkeit muss genau passen. Denken Sie an eine Kathedrale. Die ist enorm groß und weitläufig, weil jeder Stein am richtigen Ort ist. Wenn man jedoch nur einen Backstein vergisst, bricht alles zusammen. Es ist manchmal nicht so einfach, lange Passagen zu spielen und trotzdem auf diese entscheidenden Momente Acht zu geben, die alles am Laufen halten.

Man muss immer die große Linie vor Augen haben.
Yannick-Nézet-Séguin

Nicht nur pompös und feierlich

BR-KLASSIK: Gibt es für Sie in Bruckners Siebter eine bestimmte Schlüsselstelle?

Yannick Nézet-Séguin: Die liegt für mich gegen Ende des zweiten Satzes: die Hommage an Wagner. Wagner war gerade gestorben, als Bruckner diesen Satz so gut wie fertig komponiert hatte. In der Coda klingt diese Huldigung sehr schmerzhaft. Hier spürt man seine Liebe und seine Bewunderung für diesen Komponisten. Dies ist für mich der Schlüssel zum Verständnis seiner ganzen Menschlichkeit. Im Klang spürt man ein Widerstreben, eine Schwere und Tiefe, die der Musik eine Art Feierlichkeit verleiht. Aber sie nur pompös und feierlich zu nennen, wäre mir zu herzlos. Der Schlüssel liegt für mich in der Emotionalität und in der Intensität - natürlich im richtigen Maß und ohne jede Vulgarität. Bei Bruckner muss man auch das weniger Liebenswerte lieben. Wenn man dies tut - und das habe ich von Carlo Maria Giulini gelernt -, dann hat man ihn verstanden.

Infos zum Konzert

München, Herkulessaal der Residenz
Donnerstag, 7. Juli, 20:00 Uhr

Freitag, 8. Juli, 20:00 Uhr
Live-Übertragung auf BR-KLASSIK

Dortmund, Konzerthaus
Samstag, 9. Juli, 20:00 Uhr

Programm:
Arien aus Werken von Carl Maria von Weber und Franz Schubert
Anton Bruckner:
Symphonie Nr. 7 E-Dur

Anna Prohaska (Sopran)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Dirigent: Yannick-Nézet-Séguin

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