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Franco Ambrosetti wird 75 Der Jazzer mit dem Doppelleben

Seit fünf Jahrzehnten gehört er zu den besten Jazztrompetern der Welt. Und bis zum Jahr 2000 leitete er im Hauptberuf ein international aufgestelltes Unternehmen. Am 10. Dezember feiert Franco Ambrosetti seinen 75. Geburtstag.

Der Jazz-Trompeter Franco Ambrosetti | Bildquelle: Burghausen

Bildquelle: Burghausen

Ein Muster an Eleganz und Gelassenheit: So erlebt man Franco Ambrosetti im Gespräch. Italienisch gekleidet, lässiges grünes Jackett zu einem blau-weiß gestreiften Hemd, feine, aber unaufdringliche Schuhe, und eine freundliche Leichtigkeit im Ton. Er spricht glänzend Deutsch, Italienisch und Englisch sowieso, Französisch selbstverständlich. Und besonders virtuos spricht er auf der Trompete. Denn dieser Musiker kann als Solist faszinierende Geschichten erzählen. Seine Soli bauen mit gebündelter Energie Spannung auf und lösen sich in zielgenau angesteuerten Pointen. Mit diesem Spiel hat sich Franco Ambrosetti, geboren am 10. Dezember 1941 in Lugano, seit den 1970er Jahren im internationalen Jazz-Geschehen gehalten, hat mit großen amerikanischen Stars wie John Scofield, Terri Lyne Carrington, Greg Osby, Phil Woods, Mike Richmond und vielen anderen gespielt und hervorragende Platten gemacht.

Whisky vor dem Wettbewerb

Einmal - da war er Mitte zwanzig - verwies er zwei andere spätere Weltstars auf den zweiten und dritten Platz. Wenn man die Namen heute liest, staunt man über eine solche Ballung an Zukunftspotenzial in einer Nachwuchs-Veranstaltung: 1966 nahm Ambrosetti an einem Wettbewerb in Wien teil, der von dem Pianisten Friedrich Gulda organisiert wurde und in dem Musiker wie Cannonball Adderley, Art Farmer, Ron Carter und Joe Zawinul in der Jury saßen. In diesem Wettbewerb gewann Ambrosetti den ersten Preis als Trompeter vor den Konkurrenten Randy Brecker und Claudio Roditi - zwei Musikern, die, wie er selbst, auch heute noch zu den Allerberühmtesten in ihrem Fach gehören. "Bei der Endausscheidung traten wir alphabetisch geordnet nacheinander auf", erzählt Ambrosetti: "Randy und ich saßen zusammen, denn zuerst kam ich, Ambrosetti, dann kam er, Brecker. Wir waren beide sehr nervös und ich trinke ja normalerweise fast nichts, dort aber haben er und ich zusammen fast eine halbe Flasche Whiskey getrunken - weil wir so gezittert haben." Über Randy Brecker sagt Ambrosetti auch: "Er hat damals einen viel schöneren Ton gehabt als ich, das heißt, er hätte auch der Sieger sein können, und ich hätte mich darüber nicht beschwert."

Franco Ambrosetti auf dem Jazz Festival Bern 1996

Trompeter auf Geschäftsreise

Trotz seines Erfolgs mit dem Musik-Instrument entschied sich Franco Ambrosetti damals, nicht nach Boston zu gehen, um dort Musik zu studieren, sondern nach Basel - und dort studierte er Wirtschaft. Von 1973 bis 2000 leitete er die Firma, die er von seinem Vater übernommen hatte, "Ambrosetti Technologies", das Räder für Fahrzeuge und Fahrwerke für Flugzeuge herstellte. Auf seinen vielen Geschäftsreisen übte er täglich Trompete - was nicht gerade einfach ist in Hotelzimmern, wo man mit einem lauten Instrument schnell andere Gäste stört. Aber Ambrosetti spielte in den gefüllten Kleiderschrank hinein, der die Klänge dämpfte, und öffnete das Fenster, damit die sich vermischenden Geräusche für andere Hotelgäste klangen, als würde er fernsehen.

Musikalische Familie

Bereits sein Vater, Flavio Ambrosetti, war zugleich Jazzmusiker (ein Saxophonist) und Industrieller. Franco Ambrosetti führte das mit der Trompete  fort. Und Gianluca Ambrosetti, Francos Sohn, ist Saxophonist und Doktor der Physik. Das Familien-Unternehmen aber hat er nicht übernommen.

Glasklar intonierte Tonketten

Franco Ambrosettis Spiel auf der Trompete und dem weicher klingenden Alternativ-Instrument Flügelhorn, das sehr viele Jazztrompeter ebenfalls benutzen, ist attackenreich, feurig und hochvirtuos - und dennoch von einer wie selbstverständlichen Gelassenheit geprägt. Es gibt einen - auch fürs Fernsehen aufgezeichneten - Live-Mitschnitt seiner Band, der 2001 bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen entstand. In dieser Aufnahme spielt Ambrosetti unter anderem mit dem Saxophonisten Mark Turner und dem Pianisten Jason Moran zusammen, zwei damals ganz jungen Musikern, die heute zu den Top-Weltstars gehören. Und Ambrosetti selbst lässt da in dem Klassiker "The Sidewinder" mit unglaublicher Beiläufigkeit rasante und glasklar intonierte Tonketten dahinsausen - die dennoch beseelt sind von geistblitzender Schönheit.

Franco Ambrosetti und Geri Allen in Lugano 2011

Herausragende Schallplatten

Mit amerikanischen Stars, die er sich stets problemlos leisten konnte - sowohl von der spielerischen als auch der finanziellen Klasse her -, nahm Ambrosetti Alben auf, die zeitlos herausragenden Jazz enthalten. Etwa 1985 die von temporeichen Glanzstücken und innigen Balladen geprägte Langspielplatte "Gin and Pentatonic" mit international herausragenden Kollegen wie Michael Brecker, Kenny Kirkland, Tommy Flanagan und Dave Holland. Dann die Platte "Movies" von 1986 mit Film-Melodien von "Yellow submarine" bis "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt", bei der unter anderem Gitarrist John Scofield und Pianistin Geri Allen mitwirkten. Oder 1990 mit Kollegen wie Simon Nabatov, Ed Schuller und dem hervorragenden Arrangeur Daniel Schnyder sowie dem NDR-Sinfonieorchester Hannover die "Music for Symphony & Jazz Band", die mit zum Besten gehört, was an Verschmelzung von Jazz-Solisten mit klassischem Orchester-Apparat je gemacht wurde.

Scharf formulierte Gedanken

Viel zu entdecken gibt es bei diesem Musiker, der nicht nur ein Meister im Spielen klarer Töne, sondern auch im Formulieren scharfer Gedanken ist. Auf die Frage, was Unternehmer vom Jazz lernen können sagt er: "Dass man gleichberechtigt zusammenarbeitet." Denn beim sogenannten "Interplay" des Jazz stimulieren sich gleichberechtigte Musiker gegenseitig zu Höchstleistungen und zu starken Ideen.

Ethik und langfristiges Denken

Ambrosetti fügt eine Analyse über Firmen-Management hinzu: "Auf demokratische Art und Weise eine Firma zu führen, ist schon besser, als einfach zu befehlen. Aber heute wird das irgendwie total vergessen. Es sind heute überhaupt viele Punkte in Vergessenheit geraten. Die protestantische Arbeitsethik, die im 18. und 19. Jahrhundert die industrielle Revolution - und zwar die erste und auch noch die zweite - angeschoben hat, hatte nicht den Profit als Ziel, sondern sie hat den Profit als ein Mittel zum Ziel erachtet. Wenn man Unternehmer ist und sozusagen mit dem eigenen Geld 'spielt', dann muss man, um der Firma eine Zukunft zu geben, längerfristig planen. Das heißt, in diesem Fall kann der Profit gar nicht das ultimative Ziel sein, sondern er ist ein Mittel: Aufgrund des Profits kann man investieren, und die Investitionen wiederum sichern das Weiterbestehen der Firma. Manager hingegen denken kurzfristig, und sie müssen kurzfristig denken, weil sie nicht wissen, wie lange sie in einem Unternehmen bleiben. Denn die Firma gehört ihnen ja nicht und sie werden zum Beispiel auch mit Aktien oder Aktienoptionen entlohnt. Deswegen versuchen sie natürlich so schnell wie möglich, viel Geld zu verdienen. Das ist aber nur ein kurzfristiges oder mittelfristiges Denken gegenüber einem Unternehmer, der langfristig denkt - und denken muss. Viele von diesen ethischen Grundsätzen sind in den letzten zwanzig Jahren verloren gegangen. Und deswegen habe ich mir gesagt: 'Das ist nicht mehr meines, da mache ich lieber Musik'."
Und das hoffentlich noch lange und oft.

Franco Ambosetti auf BR-KLASSIK

Samstag, 10. Dezember 2016, 18.05 bis 19.00 Uhr
"Jazz und mehr"

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