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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 9 Hören wir Gutes und reden darüber!

In den letzten beiden Jahren haben Jazz-Alben einen neuen Stellenwert erhalten: Nicht in Konzerten erreichen Musikerinnen und Musiker ihr Publikum, sondern mit Aufnahmen. Wir stellen drei besondere CDs vor - haben aber auch eine Warnung

Cover Potsa Lotsa XL & Youjin Sung - Gaya | Bildquelle: Trouble in the east reacords

Bildquelle: Trouble in the east reacords

Jazztime - 12.04.22

Hören wir Gutes Vol. 9 - gekürzte Version

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 9" hier zum Nachhören – mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Ulrich Habersetzer und Roland Spiegel zum neunten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende vier Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Potsa Lotsa XL & Youjin Sung: "Gaya Suite" Trouble in the east reacords TITE-REC 026

Die "Gayageum" ist ein traditionelles südkoreanisches Instrument, in Korea ist ihr Klang bekannt und beliebt. Die Gayageum im Jazz ist eine absolute Exotin, umso spannender, was die in Berlin lebende Saxophonistin Silke Eberhard für dieses Instrument komponiert hat. Ihr großartig besetztes Tentett "Potsa Lotsa XL" mit Trompeter Nikolaus Neuser, Posaunist Gerhard Gschlößl, Johannes Fink am Cello und anderen umgarnt den typischen, hüpfenden Klang der Gayageum, gespielt von der Virtuosin Youjin Sung. Während des Corona-Lockdowns hatten Eberhard und Sung schon über Video zusammengespielt und Eberhard war fasziniert von dem flexiblen, charakteristischen Klang der Wölbbrett-Zither. Das Album "Gaya" ist aber kein Exotik-Mix mit netter Klangfarbenerweiterung. Es ist zupackender, moderner Jazz mit viel Freiheit, aber viel auskomponierten, trickreich-sperrigen und humorvoll-vertrackten Passagen. Die solistischen Passagen sind eher kurz, die Gayageum und der Ensembleklang von "Potsa Lotsa XL" stehen im Vordergrund. Das nur 30-minütige Album steigert aber die Vorfreude immens, diese Musik auch in längeren Versionen live zu erleben.

Johannes Berauer: "Vienna Chamber Diaries plus strings" (Basho Records SRCD 59-2)

Cover Johannes Berauer: Vienna Chamber Diaries plus strings
| Bildquelle: Basho Records Johannes Berauer: Vienna Chamber Diaries plus strings | Bildquelle: Basho Records Diese CD ist die dritte aus der "Vienna Chamber Diaries" Serie des österreichischen Komponisten Johannes Berauer. Diesmal bringt er acht virtuose Jazzmusiker mit den Streichern des Symphonieorchesters Vorarlberg zusammen in der Absicht, das intuitive Miteinander und die improvisatorische Kraft des Jazz formgestaltend auf die Architektur seiner Kompositionen einwirken zu lassen. Mit dem Gitarristen Wolfgang Muthspiel, dem Sopransaxophonisten und Bassklarinettisten Klaus Gesing, dem Akkordeonisten Christian Bakanic, dem Pianisten Gwilym Simcock, dem Geiger Johannes Dickbauer, dem Cellisten Florian Eggner, dem Bassisten Yuri Goloubev, sowie dem Schlagzeuger und Perkussionisten Bernhard Schimpelsberger hat er dafür aussagestarke Virtuosen von internationalem Ruf an Bord geholt. Zum Teil waren sie auch schon bei seinen beiden früheren Produktionen dabei und brillieren nun in Johannes Berauers neun großangelegten Stücken mit Solo-Introduktionen und luftigen Trio-Exkursen, die aus den Streicherarrangements herauswachsen, sich von ihnen lösen und wieder in sie eintauchen. Dass der 1979 geborene Komponist, der übrigens seine Laufbahn als Jazzpianist startete, von der klassischen Kompositionskunst geprägt ist, hört man in der Tongebung des orchestralen Teils seiner Musik. Hier bleibt Johannes Berauer, der Maurice Ravel und Bela Bartok als große Quellen der Inspiration benennt, eher konventionell einem wohlklingenden Klangideal verhaftet. Reibungseffekte und außergewöhnliche Tonerzeugung bleiben bei den Streichern außen vor. Mir persönlich fehlen sie aber nicht in dieser hochqualitativen, Klassik- und Jazzästhetik verwebenden Genussmusik, die mit unwiderstehlich positiver Schwingung quicklebendig strömt. Harmonisierend wirkt sie auf mich in ihrer Schlüssigkeit.

Kenny G: "New Standards", CONCORD 0888072296107

Dieses Album wird gemeinschaftlich nicht empfohlen, mehr dazu erfahren Sie hier.

Fergus McCreadie: "Forest Floor", Edition Records EDN1197

Cover Fergus MCreadie Trio - Forest Floor | Bildquelle: Edition Records Fergus MCreadie Trio: Forest Floor | Bildquelle: Edition Records Eine Musik, die mit fesselnder Energie losströmt und einen unwiderstehlichen Drive entwickelt: Das Trio des schottischen Pianisten Fergus McCreadie war im Jahr 2021 eine Entdeckung - und zieht die Hörer:innen auch mit dem zweiten Album "Forest Floor" sofort in ein so spannendes und lustvolles musikalisches Geschehen hinein, dass man Stück für Stück gebannt verfolgt. Naturverbunden gibt sich der 1997 geborene Musiker zusammen mit seinen beiden Partnern David Bowden (Bass) und Stephen Henderson (Schlagzeug). Rautenförmig arrangierte Holzstücke und kleine grüne Zweige illustrieren auf dem Cover das Thema "Waldboden". Und die Musik dazu klingt erdverbunden und hebt trotzdem ab. Geballt und kompakt spielen die drei Musiker schon gleich beim ersten Track - aber sind dann etwa im Titelstück dazu in der Lage, sich in innig-lyrische Zartheit zu versenken, melodisch wunderschön und keine Sekunde zu lieblich. Die Melodien der acht Stücke sind durchweg griffig und leicht zugänglich. Manche haben den Charme von Folksongs, die dann in hoher Jazz-Interaktionskunst aufgehen - so wie der Waldboden auf der Hülle in der geometrischen Form. Eine Musik, die die Sinne anspricht, die unmittelbares Hörvergnügen schafft, die ganz archaische Kraft hat und in ihrer Mischung aus Einfachheit und Subtilität eine eigene Position auf der Landkarte hochklassiger Klaviertrios des aktuellen Jazz findet. A propos Schottland: Das erste Instrument von Fergus McCreadie soll der Dudelsack gewesen sein. Ein besonderer Reiz ist es, Stück für Stück auf diesem Album zu erleben und darüber nachzudenken, ob man diese musikalische Wurzel eigentlich heraushört.

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