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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - VOL. 3 Hören wir Gutes und reden darüber!

In Corona-Zeiten haben Jazz-Alben einen neuen Stellenwert erhalten: Nicht in Konzerten erreichen Musikerinnen und Musiker ihr Publikum, sondern mit Aufnahmen. Wir stellen in der dritten Sendung dieser Reihe vier besondere CDs vor.

Cover Jazzrausch Bigband: "Téchne" | Bildquelle: ACT Music

Bildquelle: ACT Music

Jazztime - 13.04.21

Hören wir Gutes Vol. 3 - gekürzte Version

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 3" hier zum Nachhören – mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Ulrich Habersetzer und Roland Spiegel gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über die hier folgenden vier Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Jazzrausch Bigband: "Téchne", ACT Music 9923-2 (LC 07644)

Fette Techno-Beats kombiniert mit virtuosen Jazzsoli und knackigen Bläsersätzen, dafür steht die Münchner Jazzrausch Bigband. Das 2014 von Posaunist Roman Sladek gegründete Ensemble bietet aber noch viel mehr: Die Inspirationsquellen der Jazzrausch Bigband reichen von klassischer Musik, über Philosophie und Mathematik bis hin zu bildender Kunst und Design. Das neue Album "τέχνη" (Téchne) transportiert das auf eindringliche und mitreißende musikalische Art. Der altgriechische Begriff "Téchne" sieht keine Trennung zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik vor und eine solche Einheit als Gesamtkunstwerk bildet auch die Jazzrausch Bigband. Ihr einzigartiger Bandsound und ihre bemerkenswert eigene kompositorische Sprache werden auf dem aktuellen Album noch deutlicher. Wiedererkennbarkeit, bei ständiger Suche nach neuen Klangräumen, das hat gute Tradition im Jazz und macht die Jazzrausch Bigband nicht nur zu einer angesagten Modeerscheinung, sondern viel mehr zu einem richtungsweisenden Ensemble unserer Zeit. Ist das denn noch Jazz? Eindeutig JA! Count Basies Orchestra spielte Ende der 1930er Jahre auf höchstem Niveau damals moderne Tanzmusik und nichts anderes macht die Jazzrausch Bigband heute. Also: beste Jazztradition in ganz neuem Klanggewand!

Aki Takase & Daniel Erdmann: "Isn’t it romantic", BMC Records 5998309303012 (LC 07503)

Cover Aki Takase & Daniel Erdmann: "Isn’t it romantic"
| Bildquelle: BMC Records Aki Takase & Daniel Erdmann: "Isn’t it romantic" | Bildquelle: BMC Records Als Student in den 90er Jahren in Berlin hat der Saxophonist Daniel Erdmann von der Pianistin Aki Takase viel über Jazz gelernt - auch als Mitspieler in einem ihrer Ensembles. Seit 40 Jahren begeistert sie mit ihrem Personalstil zwischen Furor und Zartheit, zu dem ihre ganz eigene, konturenscharfe Ausdeutung der frühen Meister des Jazz wie etwa Fats Waller, Thelonious Monk und Eric Dolphy ebenso gehört wie ein, der klassischen Moderne verbundenes, harmonisches Abstraktionsvermögen. Auch Daniel Erdmann hat in den letzten 25 Jahren ein deutlich eigenes Profil erschaffen. Seine Tongebung mit klarem Kern und luftiger Umhüllung, und die Art, wie er die Kraft seines musikalischen Erzählstils kanalisiert in griffige Themen und Soli und ebenso intensive melancholisch umflorte lyrische Ausschweifungen, verleihen auch seiner Stimme Einzigartigkeit.
Obwohl sie ihr CD-Debüt im Duo nach einem Musicalklassiker von Richard Rogers und Lorenz Hart mit sanft durchscheinender Ironie "Isn´t it romantic?" genannt haben, spielen sie darauf erstmal je sechs eigene Kompositionen, bevor sie das Album mit einer herrlich nostalgischen Fassung des Standards beschließen. Die eigenen Stücke sind jedes für sich ein packender Krimi, bei dem die immer wieder unerwarteten Wendungen Teil einer bestechenden Logik werden. Die Themen sind ganz frisch und altersweise zugleich - eine neu erschaffene Jazztradition. Mit der unwahrscheinlichen Energie ihres Zusammenspiels gelingen Aki Takase und Daniel Erdmann, diesen beiden in ihrer Musik höchst diskursfähigen und sich variantenreich verständigenden Menschen, Jazzklassiker der Gegenwart, die einen vom ersten Ton an gefangen nehmen und über die gesamte Albumlänge nicht loslassen.

Gretchen Parlato: "Flor", Edition Records EDN1170 (LC 28731)

Cover Gretchen Parlato: "Flor" | Bildquelle: Edition Records Gretchen Parlato: "Flor" | Bildquelle: Edition Records Sie gehört zu den ungewöhnlichsten und stilistisch besonders offenen Stimmen des Jazz - und jetzt meldet sie sich nach jahrelanger Pause zurück: die 1976 in Los Angeles geborene Sängerin Gretchen Parlato, die 2004 die Thelonious Monk Competition gewann und in Aufnahmen so berühmter Kolleginnen und Kollegen wie Terri Lyne Carrington, Esperanza Spalding, Marcus Miller und Lionel Loueke sang. "Flor", portugiesisch für „Blume“, heißt ihr am 9. April 2021 erschienenes, neues Album, das einen wichtigen Hintergrund hat: Es ist das erste eigene Album Gretchen Parlatos seit 2013. Danach machte sie - abgesehen von einer Aufnahme zusammen mit den Sängerinnen Becca Stevens und Rebecca Martin 2016 - Pause. Denn in der Zwischenzeit brachte sie einen Sohn zur Welt und konzentrierte sich aufs Privatleben. Das Album "Flor" spiegelt die neue Erfahrungswelt der Sängerin. Durch ihren Sohn erinnerte sie sich stark an ihre eigene Jugend - und daran, wie fasziniert sie damals brasilianische Musik hörte. So arbeitet sie nun mit aus Brasilien stammenden Musikern - etwa Gitarrist und musikalischer Leiter Marcel Camargo und Perkussionist Léo Costa - und nennt die auch mit einem Cello besetzte neue Band ebenfalls "Flor". Ein Song aus dem Repertoire Joao Gilbertos ("E preciso perdoar"), zu dem Parlato auch einen eigenen englischsprachigen Text beigesteuert hat, leitet das Album ein, eine Komposition der brasilianischen Legende Pixinguinha ("Rosa") setzt einen weiteren poetischen Tupfer. Andere Highlights des Albums sind das Stück "Wonderful", das sie ihrem Sohn und mit ihm allen anderen Kindern der Welt gewidmet hat, und eine vokale Variation eines Satzes aus Bachs Cello-Suite in G-Dur. Überall fasziniert die präzise Leichtigkeit des Gesangs, mit einer Stimme, die mit äußerst feinen, fast versteckten Nuancen arbeitet und wie eine weltumspannende Folk-Stimme klingt: eine Stimme von ganz eigener Wärme, die mit leisen, feinen Momenten und hauchzartem Ton berührt. In "Flor" blüht sie besonders auf.

Lilly: "The Song is you", Challenge Records DMCHR71386 (LC 01221)

Cover LILLY: The Song is you | Bildquelle: Double Moon Records LILLY: The Song is you | Bildquelle: Double Moon Records Charmant, frisch und luftig, aber auch tiefgründig und voll zarter Kraft, so klingt die Musik von Lilly.
Lilly-Ann Hertzmann, Sängerin aus Dänemark, hat ihr neues Album "The Song is you" genannt und darauf gibt es vor allem Jazzstandards. Und: Lilly hat sich den Titel zu Herzen genommen. Sie wird eins mit diese Jazz-Songs. Sehr persönliche Interpretationen hat die Sängerin zusammen mit dem israelischen Gitarristen Gilad Hekselmann und dem US-Kornettisten Kirk Knuffke kreiert. Besonders Hekselman wird auf dem Album zum perfekten Ein-Mensch-Orchester: Rhythmus, Harmonie, auch Melodie und Atmosphäre, all das liefert er mit brillanter Leichtigkeit und kerniger Erdung. Kirk Knuffkes Kornet gibt eine geschmackvoll-spannungsreiche Tonwürze dazu. Ein lebendiges, äußerst ansprechendes Album ist Lillys "The song is you" geworden. Eine Entdeckung, die sich lohnt!

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