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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 47 Hören wir Gutes und reden darüber

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet. Hier ist die 47. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Bildquelle: Enja

05.05.2025

ARD Jazz. Spotlight: Hören wir Gutes und reden darüber!, Vol. 47

"Hören wir Gutes und reden darüber, Vol. 47".
In dieser Ausgabe von "ARD Jazz. Spotlight" haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum siebenundvierzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Jens Düppe: "Ism" (Enja)

"Never change a winning team" oder "Never change a running system": Sprüche von Menschen, die Veränderung scheuen, dabei aber Erfolg behalten wollen. Manchmal gilt das auch für Bands, manchmal nicht. Schlagzeuger und Komponist Jens Düppe hat das hervorragend laufende System seines Quartetts mit Trompeter Frederik Köster, Pianist Lars Duppler und Bassist Christian Ramond erweitert. Tenorsaxophonist Francesco Bearzatti ist der Neue im Team und alles andere als das fünfte Rad am Wagen. Er ist ein aufregende weitere Stimme in Jens Düppes Kosmos, das System dieser Band läuft aber auch mit der zusätzlichen Stimme großartig. Auf dem Album "Ism" hört man fünf inspiriert agierende Instrumentalisten, die sich mit Leidenschaft und Ideenreichtum in die Improvisationen stürzen, die aber auch mit sehr feinem Ohr den kompositorischen Vorgaben Jens Düppes folgen. Neun Eigenkompositionen von Düppe finden sich auf dem Album und alle haben eine andere Aura und Anmutung: Mal ein vertrackt-kantiges Thema mit schrägen Zwischenklängen, mal ein packender Groove, mal Tonkaskaden eines Synthesizers, mal lässt Düppe spielen und sein Drumset erklingt gar nicht, mal untermalt er mit seinen zarten Akzenten den von Trompete und Saxophon in starken Tönen vorgetragenen Ruf um Frieden. All das macht "Ism" zu einem rundum gelungenen, vielschichten Album: ein absolut hörenswerter Systemsprenger.

Tobias Meinhart: "Sonic River" (Sonic River Records)

Cover - Tobias Meinhart: Sonic River | Bildquelle: Sonic River Records Bildquelle: Sonic River Records Tobias Meinhart stammt aus einem kleinen Ort in der Oberpfalz und hat es geschafft, sich auf Dauer in New York als Jazzmusiker zu etablieren. Seit fünfzehn Jahren lebt der 1983 geborene Saxophonist dort und hat nun mit "Sonic River" sein zehntes Album als Bandleader herausgebracht. Elf Kompositionen hat er dafür geschrieben, in denen er das konstante Fließen der Inspiration, der Klänge und Rhythmen und der improvisatorischen Ideen feiert. Mit den Mitteln eines melodisch orientierten, auf Klangschönheit und auf die Kraft der Verfeinerung setzenden Jazz gelingt ihm mit seiner großartig besetzten Band ein wunderbar ausbalanciertes Wechselspiel unterschiedlicher stilistischer Ansätze des Modern Jazz:  mal eher von Bebop und Blues, dann aber auch von J.S. Bach oder lateinamerikanischer Musik beeinflusst. Der Schlagzeuger Obed Calvaire liefert für jede dieser Spielarten kraftvolle Grooves, die sich aus feinsten, immerfort wandelbaren Strukturen zusammensetzen. Mit ihnen verwebt Matt Penman geschmeidige, herrlich intonierten Basstöne und Pianist Eden Ladin die Eleganz seines Spiels. Hinzu kommen bei einigen Stücken die luftigen Klangkaskaden des Gitarristen Charles Altura und der poetische Gesang der in New York lebenden Portugiesin Sara Serpa, etwa bei einer Vertonung von Rainer Maria Rilkes Gedicht "Der Panther". Und Tobias Meinhart selbst verleiht mit den vielen feinen Facetten seines hellen Tenorsaxophon-Tons jedem Stück den roten Faden und viel Stoff zum genussvollen Hören.

Near The Pond: "Wild Geese" (Stunt Records)

Cover - Near the pond: Wild Geese | Bildquelle: Stunt Records Bildquelle: Stunt Records Eine Entdeckung! Japanische Gedichte aus dem 12. Jahrhundert in einem aktuellen, weltoffenen Jazz-Gewand. Sängerin Josefine Cronholm, Kornettist Kirk Knuffke, Bassist Thommy Andersson und Vibraphonist sowie Perkussionist Bent Clausen haben auf bezaubernd-sensible Art Gedichte des japanischen Autors Saigyo vertont. Eine hinreißend klare Gesangsstimme, ein Kornett, das in intensiv-rauen, sinnlichen Blechbläser-Tönen Räume öffnet, ein sensibel-klangvoller Kontrabass, und dazu zart-archaisch-sparsame Percussion: Auf diese Art bringen die vier aus Skandinavien und den USA stammenden Musiker:innen (immer wieder unterstützt durch drei Streich-Instrumente, zwei Bratschen und ein Cello) die wunderschönen Kurzgedichte des japanischen Mönchs Saigyo (1118-1190) zum Leuchten. Sängerin Josefine Cronholm stieß während eines New-York-Aufenthalts zufällig auf Übersetzungen von Saigyos Kurzgedichten, die in ganz wenigen Worten meistens die Schönheit der Natur feiern. Und nun hat sie mit ihren musikalischen Partnern (sie nennen sich als Band "Near The Pond" nach dem Titel eines früheren Albums) diese Übersetzungen auf feinfühlige, den Texten viel Raum lassende Art vertont - nach Gedichten des schwedisch-amerikanischen Autors Carl Sandburg in einem früheren Album. Auf em neuen gibt es wunderschön-kontemplative Momente wie etwa in "Only The Moon", wo sich die Streicher in Thommy Anderssons Arrangement besonders warmtönend ins Geschehen schmiegen. Und da gibt es fingerschnippend swingende Augenblicke wie in "Time On My Pillow". Alles zusammen: ergreifend schön und eine sehr besondere Begegnung von Jazz und Lyrik.

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