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ZUM 100. GEBURTSTAG VON BUDDY DEFRANCO Unvergessliche Momente mit dem Gentleman der Klarinette

Sein Ton war ein Muster an Geschmeidigkeit. Und er selbst: die Eleganz in Person. Am 17. Februar wäre der amerikanische Klarinettist Buddy DeFranco, einer der ganz großen Vertreter seines Instruments im Jazz, 100 Jahre alt geworden. Auf BR-KLASSIK kann man in der "Jazztime" ungewöhnliche Momente mit ihm bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen nacherleben.

Buddy Defranco, Bulls Head, Barnes, London, 1995 | Bildquelle: picture alliance / National Jazz Archive/Heritage I | Brian Foskett

Bildquelle: picture alliance / National Jazz Archive/Heritage I | Brian Foskett

Manche Jazz-Momente bleiben immer im Gedächtnis. Einen davon konnten Besucher der Internationalen Jazzwoche Burghausen im Jahr 1989 erleben. Im Jazzkeller im Mautnerschloss gab es damals zu fortgeschrittener Nachtstunde eine Session mit außergewöhnlich prominentem Personal. Pianist Kirk Lightsey, Saxophonist Eddie Harris, Klarinettist Tony Scott – und dessen Klarinettenkollege Buddy DeFranco. Ein Foto von damals zeigt diese Klarinettisten, die beide noch in der Swing-Ära aufgewachsen waren, in herrlich kontrastierender Eintracht nebeneinander.

Tony Scott und Buddy DeFranco | Bildquelle: Ilona Piecha / Aus dem Buch „It has lines in its face” über die Geschichte der Internationalen Jazzwoche Burghausen. Bildquelle: Ilona Piecha / Aus dem Buch „It has lines in its face” über die Geschichte der Internationalen Jazzwoche Burghausen. Tony Scott, der nach Europa übergesiedelt war, hatte sich vom einstigen adretten Anzugträger und Bühnen-Blickfang mit schwarzem, zurückgekämmtem Haar inzwischen zu einem wilden Jazz-Anarchisten mit weißem Rauschebart und lang herunterhängendem Resthaar gewandelt – und so stand er auch der Bühne des Mautnerschlosses im lässigen, weiten Strickpullover. Und neben ihm: ein Mann im hocheleganten dunklen Jackett, dazu weißes Hemd, dunkle Krawatte und gepflegt nach hinten gekämmtem dunklem Haar, Buddy DeFranco. Zwei, die aus derselben Welt stammten, aber in sehr unterschiedlichen Welten gelandet waren – und die dann auch bei dieser Session mit völlig unterschiedlichen Tönen spielten.

HISTORISCHE BEGEGNUNG IN DER BURGHAUSER WACKERHALLE

Auch auf der großen Bühne des Burghauser Festivals, in der Wackerhalle, standen die beiden Klarinettisten damals zusammen. Dort trug Scott nicht den Pullover aus dem Jazzkeller, sondern einen dunklen Anzug und einen schwarzen, breitkrempigen Hut. Dieses Konzert, zusammen mit der hochkarätigen Big Band des deutschen Musikers Erwin Lehn (1919-2010), schnitt der Bayerische Rundfunk damals mit. Deshalb gibt es noch Aufnahmen von diesem, wie Festivalchef Joe Viera damals auf der Bühne sagte, ersten gemeinsamen Konzert Buddy DeFrancos und Tony Scotts überhaupt. DeFranco war damals der amerikanische Stargast im Konzert Erwin Lehns am Festivalsamstag – und Scott kam dann noch als Überraschungsgast für einige Stücke hinzu.
Dabei waren zwei höchst unterschiedliche Facetten des Klarinettenspiels zu erleben. Während Scott damals seine Kunst immer mehr ins Energetische peitschte, bestach DeFranco mit einer ästhetischen Schönheit und Konsequenz, die ihresgleichen suchte.
Scott würdigte in einer Bühnenansage seinen Kollegen dann auch sehr respektvoll: Er nannte DeFranco den "Gentleman des Jazz", sogar den größten Gentleman unter allen Jazzmusikern. Und er sagte "Gott hat drei Millionen Dollar auf der Erde hinterlegt für die Klarinettisten – und Benny Goodman und Artie Shaw haben dieses Geld untereinander aufgeteilt." Aber, so Scott weiter, er und Buddy DeFranco wollten nun etwas tun, damit die Klarinette im Jazz wieder Aufwind bekomme. Diesen Aufwind hatte das Instrument aber nicht zuletzt durch diese beiden Musiker schon längst.

Sendungshinweis

Freitag, 17. Februar, 23:05 Uhr: Jazz auf Reisen. Zum 100. Geburtstag des Klarinettisten Buddy DeFranco. Meister der Eleganz: Ausschnitte aus DeFrancos Konzert bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen 1989 mit der Erwin-Lehn-Big-Band und einem Überraschungsgast. Moderation und Auswahl: Roland Spiegel

BEREITS MIT 16 JAHREN PROFI-MUSIKER

Portrait of Buddy De Franco, New York, N.Y., ca. Sept. 1947. HINWEIS: Das Aufnahmedatum ist nicht immer bekannt. (Heritage Art/Heritage Images) | Bildquelle: picture alliance / Heritage Images | William Paul Gottlieb Bildquelle: picture alliance / Heritage Images | William Paul Gottlieb Tony Scott hätte seinen 100. Geburtstag bereits im Juni 1921 gehabt – und den Hundertsten von Buddy de Franco feiert die Jazzwelt jetzt. DeFranco wurde 1923 in Camden im Bundesstatt New Jersey geboren. Er hieß eigentlich Boniface Ferdinand Leonard DeFranco. Er begann mit neun Jahren das Klarinettenspiel und gewann mit 14 einen Amateur-Swing-Wettbewerb, den "Tommy Dorsey Swing Contest", der unter der Federführung des Posaunisten und Big-Band-Chefs Dorsey stattfand. Er begann seine Karriere schon, bevor er volljährig war — mit 16 Jahren, 1939, bei dem Trompeter und Sänger Johnny Scat Davis. Dann folgten bald Engagements bei den Bands von Schlagzeuger Gene Krupa, Saxophonist Charlie Barnet, bei Tommy Dorsey, bei Saxophonist Boyd Raeburn und nicht zuletzt im Septett des Swing-Stars Count Basie. Das Engagement bei Drum-Superstar Gene Krupa begann ebenfalls schon, als DeFranco noch unter 20 war, 1941. Von Mitte der 1940er Jahre bis Mitte der 1950er Jahre war DeFranco ständig an der Spitze von Leser-Umfragen. Er machte hervorragende Aufnahmen etwa mit den Pianisten Art Tatum und Oscar Peterson, leitete ein Quintett im New Yorker Birdland-Club und übernahm später die Leitung des immer noch fortgeführten Glenn-Miller-Orchesters. Er blieb über Jahrzehnte ein bedeutender Solist. Auch in den 1980er Jahren gewann er die begehrte Leser-Umfrage der Zeitschrift "Down Beat" (1984). Damals war DeFranco auch bei besonders vielen Festivals in den USA und Europa als Solist zu erleben. Sein Auftritt in Burghausen fiel also in eine Zeit seiner besonderen Erfolge.

DIE NEUE RANDEXISTENZ DER EINSTIGEN KÖNIGIN DER JAZZ-INSTRUMENTE

Als DeFranco (wie auch Tony Scott) zu einem arrivierten Musiker wurde, nahm die Popularität der von großen Klarinettisten wie Benny Goodman und Artie Shaw geleiteten Big Bands bereits ab – Artie Shaw etwa löste die seine 1950 auf. Die Klarinette war im Swing-Stil die Königin der Jazz-Instrumente. Als aber in den 1940er Jahren junge Musiker sich daran machten, eine ganz neue Spielart des Jazz zu schaffen, den sogenannten Bebop, drängten sich anderen Instrumente in den Vordergrund, nicht zuletzt das Altsaxophon durch einen so überwältigenden Solisten wie Charlie Parker. Buddy DeFranco und Tony Scott nahmen die neuen Einflüsse sofort in ihrem Spiel auf. Scott gehörte sogar zu dem Kreis der Musiker, die Anfang der 1940er Jahre in "Minton's Playhouse" im New Yorker Stadtteil Harlem in Jam-Sessions dem aufregenden neuen Stil frönten. Der "Bebop" war mit hektischen Intervallsprüngen und einer kantigen neuen Expressivität so ganz anders als die süffigen Töne des Swing. Die Klarinette als ein für den Swing wie geschaffenes musikalisches Sprachrohr führte in dieser Musik eine Rand-Existenz. Und doch gab es gerade zwei Musiker, die schon früh auf der Klarinette diese neue Musiksprache beherrschten – eben Tony Scott und Buddy DeFranco.

DAS NUR SCHEINBAR UNGEEIGNETE INSTRUMENT

DeFranco sagte von sich, er sei der erste gewesen, der diesen neuen Stil auf der Klarinette spielte. Die Zeit des aufkommenden modernen Jazz sei der Beginn einer Durststrecke für die Klarinette gewesen, zitiert die "Los Angeles Times" den Klarinettisten in ihrem Nachruf. Es sei sehr schwer, Bebop auf diesem Instrument zu spielen. Dabei sei die Klarinette nicht "unkompatibel" mit dem Bebop, wie oft auch in Nachschlagewerken zu lesen ist.

Es ist einfach schwieriger, auf der Klarinette Bebop zu spielen als auf jedem anderen Instrument.
Buddy DeFranco, Klarinettist

DIE LEICHTIGKEIT DER BESONDERS SCHWIERIGEN TÖNE

Er selbst machte aber in seiner langen Karriere diese Schwierigkeit vergessen. DeFranco spielte gestochen scharfe, elegante Linien, die etwas Schwereloses hatten und dabei auch die sprunghafte Intensität des modernen Jazz selbstverständlich erscheinen lassen. Die bewusst abgerissenen Phrasen und die unerwarteten Sprünge, die Soli des Bebop seit Charlie Parker kennzeichnen, meisterte DeFranco in gelassener Leichtigkeit auf dem vermeintlich dafür ungeeigneten Instrument. Gerade in seinen späteren Phasen hatte DeFranco auch eine bemerkenswerte Wärme des Tons. All das lässt sich – besonders im Kontrast zum Klang seines Kollegen Tony Scott – in den Aufnahmen vom 18. März 1989 aus Burghausen ausführlich nachvollziehen. Buddy DeFranco starb an Heiligabend 2014 im Alter von 91 Jahren.

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Buddy DeFranco, Lee Konitz, Grace Kelly   'Autumn Leaves' | Bildquelle: Grace Kelly (via YouTube)

Buddy DeFranco, Lee Konitz, Grace Kelly 'Autumn Leaves'

Sendung: "Jazztime" am 17. Februar 2023 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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