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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 16 Hören wir Gutes und reden darüber!

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 16. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Cover - Brad Mehldau: Your mother should know | Bildquelle: Nonesuch Records

Bildquelle: Nonesuch Records

BR-KLASSIK - Jazztime

Hören wir Gutes 14.02.23

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 16" hier zum Nachhören – mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Roland Spiegel, Ulrich Habersetzer und Beate Sampson zum sechzehnten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Brad Mehldau: "Your Mother Should Know – Brad Mehldau Plays The Beatles", Nonesuch.

Ein Jazz-Album, das besonders viele Ohren erreichen dürfte: Denn einer der profiliertesten Jazzmusiker dieser Zeit spielt Songs eines zeitlos gewordenen Popmusik-Welterbes - Songs von den Beatles. Den 1970 geborenen amerikanischen Pianisten Brad Mehldau beschäftigen Beatles-Songs seit langem. Schon 1996 nahm er für seine CD "The Art of the Trio (Vol. 1)" den Beatles-Klassiker "Blackbird" auf - und in regelmäßigen Abständen folgten auf Trio- und Solo-Alben Mehldaus weitere Songs des Liverpooler Pop-Quartetts, von "Dear Prudence" über "She’s Leaving Home" bis "And I Love Her". Jetzt also ein komplettes Album, das den Beatles gewidmet ist - fast jedenfalls, denn das letzte Stück darauf ist ein Ausblick auf die Nach-Beatles-Ära mit David Bowies Stück "Life on Mars?". Sofort fällt auf: Mehldau wiederholt sich nicht. Seine neuen Solo-Versionen, die 2020 vor Publikum in der Pariser Philharmonie aufgenommen wurden, greifen auf lauter Songs zurück, die bisher nicht auf Mehldaus Alben zu finden sind. Und es sind in der Mehrzahl - bis auf "I Am The Walrus", mit dem Mehldau beginnt, und "Here, There And Everywhere" - eher entlegene Beatles-Stücke, wie etwa das locker swingende Titelstück "Your Mother Should Know", die George-Harrison-Nummer "If I Needed Someone" (1965), der Lennon-McCartney-Song "Baby’s in Black" von 1964 oder auch der schnelle, von Rock’n’Roller Chuck Berry inspirierte Song "I Saw Her Standing There" (1963), der bei Mehldau zu einem munteren Boogie-Woogie-Intermezzo wird. Gerade die überraschende Song-Auswahl hat ihren Reiz - und natürlich das, was Mehldau aus den Stücken macht. Wie er etwa das Thema von "If I Needed Someone" über einer absteigenden Basslinie entwickelt, die einem fremd vorkommt, aber doch nicht sehr weit vom Eingangs-Riff des Beatles-Originals entfernt ist. Oder wie er das bei den Beatles ziemlich kurze Lied "Golden Slumbers" über einem pulsierenden Rhythmus zu einem packenden Achtminüter ausweitet. Alles zusammen: Klaviermusik auf ganz hohem Niveau - und für Beatles-Fans der Reiz einer Neuentdeckung mancher schöner Songs.

Johannes Enders Trio: "Sweet Freedom", Ammerton.

Cover - Johannes Enders: Sweet Freedom | Bildquelle: Ammerton Bildquelle: Ammerton Die Zeit läuft, aber selten durfte sie so frei und flexibel verstreichen, wie bei diesem Trio! Tenorsaxophonist Johannes Enders verbeugt sich gemeinsam mit Kontrabassist Henning Sieverts und Schlagzeuger Jorge Rossy vor der Saxophonlegende Sonny Rollins, dessen gleichsam humor- und kraftvolle Musik den Jazz auf immer geprägt hat.
Johannes Enders nimmt sich nun teilweise Rollins-Ohrwürmer vor und spiegelt sie auf eine respektvolle und sehr persönliche Art wider. Mit der größte Improvisationspunkt ist das Timing innerhalb der Stücke. Themen werden zerdehnt, beschleunigt, rhythmisch umgedeutet, gedreht, gewendet, wie es den dreien beliebt. Das ist äußerst virtuos, kunstvoll und hat eine augenzwinkernde Leichtigkeit, die aber nur durch die großartigen technischen und klanglichen Fähigkeiten der drei so mühelos rüberkommt. "Sweet Freedom" heißt das neue Album, das bei Johannes Enders‘ eigenem Label "Ammerton" erschienen ist.
Mit wunderbar wendigen Basstönen, die Fundament und Wegweiser, aber auch exquisiter Gegenklang zum Saxophon sein können, bildet Henning Sieverts die Mittelachse des Trios. Der aus Barcelona stammende und in Basel lebende Schlagzeuger Jorge Rossy fächert mit seinen tickeligen Fein-Akzenten oder seinen breiten Beckenstrichen schillernd einen Klangschirm auf. Wenn einer so Schlagzeug spielt, öffnet er Türen für seine Mitmusiker! Enders‘ schmirgelnder Saxophonton schlängelt sich schwerelos durch die Stücke, erzählt die Themen, verziert und kommentiert sie gleichzeitig.
"Sweet Freedom" vom Johannes Enders Trio - so süß kann musikalische Freiheit klingen!

Frederik Köster/Die Verwandlung: "Stufen" Traumton Records.

Cover - Frederik Köster/Die Verwandlung: Stufen | Bildquelle: Traumton Records Bildquelle: Traumton Records Seit zehn Jahren leitet der Kölner Trompeter und Komponist Frederik Köster sein Quartett mit dem Namen "Die Verwandlung". Das Repertoire für das neue, fünfte Album der Band mit Pianist Sebastian Sternal, Bassist Joscha Oetz und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel hatte Frederik Köster schon 2020 zu formen begonnen. Während der Pandemie-Krise und in Zeiten persönlicher Veränderungen machte er lange Spaziergänge, während derer sich erste musikalische Entwürfe dafür materialisierten, die von Klavierstücken des Impressionismus und der Spätromantik inspiriert waren. Im Mai 2022 wurde die gemeinsam vom Quartett ausgestaltete Musik bei zwei Auftritten im Kölner Club "Loft" aufgenommen und nun auf der CD "Stufen" veröffentlicht. Der Titel ist einem gleichnamigen Gedicht von Hermann Hesse entlehnt. Und das ist eine lebensphilosophische Kontemplation über Abschied und Neubeginn im Lebenszyklus von der Geburt bis zum Tod. Die berühmte Zeile "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne" stammt daraus. Das transzendierende Moment, um den es in dieser literarischen Vorlage geht, übersetzt das Quartett in Musik, bei der offene spielerische Konzepte und melodisch klar gefasste Linien sich umkreisen und immer wieder neu verbinden. So entsteht eine sich permanent wandelnde Dialektik der Klänge, die von großer, manchmal regelrecht hymnischer Schönheit sind. Eine mitreißend poetische Innenwelt tönt aus vielschichtig verflochtenen, rhythmischen und harmonischen Ebenen, wenn Frederik Köster seinen Trompetenton schimmernd leuchten lässt bis hinauf in mühelos formulierte Spitzentöne im dreigestrichenen Bereich. Seine spielerische Glanzleistung ist zutiefst beeindruckend und zugleich purer Ausdruck einer musikalischen Erzählung, die - aus dem Inneren kommend - auch beim Hören das Innerste berührt.

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