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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 15 Hören wir Gutes und reden darüber!

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 15. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Cover - Sun-Mi Hong Quintet: Third Page - Resonance | Bildquelle: Edition Records

Bildquelle: Edition Records

Neue Jazz-Alben, vorgestellt im Gespräch - Vol. 15

Hören wir Gutes und reden darüber

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 15" hier zum Nachhören – mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Ulrich Habersetzer, Roland Spiegel und Beate Sampson zum fünfzehnten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Sun-Mi Hong Quintet: "Third Page: Resonance" (Edition Records)

Die Musik auf diesem Album ist vom Schlagzeug aus komponiert, aber die Komponistin rückt ihr Instrument deswegen nicht plakativ in den Vordergrund. In manche ihrer Stücke hat sie sich sogar längere Tacet- Passagen geschrieben. Doch trotzdem ist Sun-Mi Hong, 1990 in Südkorea geboren und seit 2012 in Amsterdam lebend, immer absolut präsent. Ihre Kompositionen und in ihnen ihr eigener Sound und ihre Dynamik haben eine besondere Intensität. Die Klänge, die sie mit jedem Schlag auf die Felle erzeugt, sind beeindruckend ausdefiniert, vereinen Volumen mit feinsten Nuancen in der Tonentwicklung. Im maximalen musikalischen Selbstausdruck ihres Spiels ist Sun-Mi Hong dabei nicht nur mit sich selbst, sondern mit der kompletten Band ganz verbunden. Die Präsenz, die dadurch aus der Musik spricht, ist ungemein packend und verströmt eine regelrecht existenzielle Energie, zu der alle Musiker*innen gleichstark beitragen: der schottische Trompeter Alistair Payne, der italienische Tenorsaxophonist Nicolò Ricci, die koreanische Pianistin Chaerin Im und der italienische Bassist Alessandro Fongaro. "As we are" heißt eines der mitreißendsten Stücke auf dem dritten Album des Quintetts, in dem das klingende Selbstporträt sich aus getragen hymnischen Liegetönen hin zu aussagestarken solistischen Höhenflügen entwickelt, befeuert vom energetischen, auch im jazzrockigen Impetus enorm swingenden Schlagzeugspiel Sun-Mi Hongs. In eine Welt komplexer Emotionen fühlt man sich durch diese Musik mitgenommen, und dazu angeregt über die eigene, innere Verfasstheit zu reflektieren.

Insomnia Brass Band: "Road Works" (Tiger Moon Records)

Cover - Insomnia Brass Band: Road Works | Bildquelle: Tiger Moon Records Bildquelle: Tiger Moon Records Dieser Sound hat Kontur! Bläserklang aus dem Keller dringt in hohe Regionen des Vergnügens vor. Schon diese Besetzung hat einen ganz eigenen Witz: Baritonsaxophon, Posaune und Schlagzeug. Die Spieler:innen dahinter sind Almut Schlichting, Anke Lucks und Christian Marien, allesamt in den 1970er Jahren in Deutschland geboren. Als Miniatur-Brass-Band sehen sich die beiden Blas-Instrumentalistinnen und der Schlagzeuger - und so klingen sie auch. Ihre Musik besteht durchweg aus Eigenkompositionen und kann ziemlich Fahrt aufnehmen, gespielt mit knackiger Fülle. Punk-Drive und krude Melodik etwa hat gleich das erste Stück "Frog Rock". Dann wieder versprüht das Trio selbstironische Funken mit lakonischen Melodie-Fetzen in Nummern wie "Golden Wedding" und "Dreaming of South East London". Und es wird auch zärtlich-poetisch in einem Track namens "So dicht bei mir". Ein besonderes Highlight ist eine Hommage an rüsseltragende Schwergewichter: "Sleeping in the Shade of Elephants". Behäbig, aber nicht durchweg gemütlich kommen dessen Töne daher - denn vielleicht ist es nicht wirklich beruhigend, unter einem Tier zu schlummern, das mehrere Tonnen wiegt. Lustvolles Spiel, viel Augenzwinkern und ein Hör-Vergnügen, das über dreizehn Stücke hinweg nicht abnimmt. Gegen Ende ist auch noch ein Schmankerl für Fans eines besonders schrägen (leider nicht mehr existierenden) Spielorts in Bayern dabei: "Wood for Wacky" dürfte dem einstigen Leiter der legendären Künstlerwerkstatt in Pfaffenhofen an der Ilm gewidmet sein: dem sehr kulturbegeisterten Schreiner Wacky Singer.

FRED HERSCH & esperanza spalding:"ALIVE AT THE VILLAGE VANGUARD" (PALMETTO RECORDS)

Cover - Fred Hersch & Esperanza Spalding: Alive at the Village Vanguard | Bildquelle: Palmetto Records Bildquelle: Palmetto Records Für Pianist Fred Hersch ist der legendäre New Yorker Jazzclub "Village Vanguard" ein zweites Zuhause. Viele seiner Live-Alben wurden in diesem gemütliche Kellerclub aufgenommen, dort fühlt er sich wohl und dort entfalten sich seine herrlichen Improvisationen vielleicht am besten. Kein Wunder also, dass sein aktuelles Album "Alive at the Village Vanguard" nur so sprüht vor Improvisationslust, Freiheit, Offenheit und Kommunikation. Das liegt aber auch genau zur Hälfte an seiner Mitmusikerin esperanza spalding (seit einiger Zeit schreibt sie ihren Namen nur mit Kleinbuchstaben). Sie ist rund 30 Jahre jünger als Hersch, tritt als Sängerin und Bassistin im Jazz und über dessen Grenzen hinaus in Erscheinung und hat durchaus Potential zum Popstar innerhalb der Jazzszene. Mit Fred Hersch im Duo lässt sie ihren Kontrabass schweigen und stellt ihre Stimme in den Vordergrund. Als "furchtlose Sängerin" beschreibt der Pianist spalding. Sie ist eine absolut ebenbürtige Improvisatorin, Stimmakrobatin und eigentlich Poetin. Denn in allen Stücken improvisiert sie auch mit dem Text, erfindet neue Strophen, gibt den Stücken andere, aktuelle Bedeutungsebenen. "Alive at the Village Vanguard" von esperanza spalding und Fred Hersch ist eine lustvolle Live-Sensation - ein Album, dass viele Fans glücklich machen wird.

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