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DIE JAZZKURSE IN BURGHAUSEN 2021 Wer darf nächstes Jahr lehren?

Sie gehören zu den Attraktionen für junge Amateur- und Profi-Jazzmusiker: die Jazzkurse in der Festivalstadt Burghausen an der Salzach. 2022 werden sie 50-jähriges Bestehen feiern. Doch 2021 rumorte es vor dem Zustandekommen. Ausgerechnet der Jazzkurs-Gründer Joe Viera ist diesmal nicht dabei.

Im Mautnerschloss in Burghausen finden die Jazzkurse statt | Bildquelle: Roland Spiegel

Bildquelle: Roland Spiegel

Die gewohnte Idylle an einem besonders schönen Ort in Bayern: Morgens um zehn vor dem rot gestrichenen und grün bewachsenen Mautnerschloss, Seminargebäude und Sitz des Jazzclubs, gelegen im malerischsten Teil der Altstadt, wehen Saxophontöne und die Sounds eines Bläsersatzes aus den Fenstern. Es ist wieder Jazzkurs in Burghausen. Wie schön!

An der Tür steht in großen Lettern: "GESCHLOSSENE VERANSTALTUNG". Das gilt dieses Jahr ausgerechnet auch für den Begründer dieser Veranstaltung, den Musiker und Pädagogen Joe Viera. Das ist jemand, der kürzlich mit den folgenden Worten gewürdigt wurde: "Er ist eine maßgebliche Persönlichkeit in der bayerischen Jazzszene - vor allem auch durch sein herausragendes Engagement für die seit über 50 Jahren stattfindende Internationale Jazzwoche Burghausen. Auch um Nachwuchsmusiker kümmert sich Professor Viera mit Herzblut - er hat unzählige Studierende des Studienzentrums für zeitgenössische Musik begleitet und in ihrer künstlerischen Entwicklung unterstützt." So hieß es nicht etwa in einer Hommage der Stadt Burghausen an den ihr seit fünf Jahrzehnten verbundenen Dozenten und immerhin künstlerischen Leiter der seit 1970 bestehenden Internationalen Jazzwoche der Stadt an der Salzach, sondern in einer Laudatio des Freistaats Bayern. Am 8. Juli dieses Jahres erhielt Joe Viera bei einem Festakt in Gegenwart von Ministerpräsident Markus Söder den Bayerischen Verdienstorden.

"KOMPLETTER AUSTAUSCH DES DOZENTENTEAMS"

Joe Viera am Mikrophon | Bildquelle: IG-Jazz Burghausen e.V. Gründer der Jazzkurse und der Jazzwoche in Burghausen: Jazzlegende Joe Viera | Bildquelle: IG-Jazz Burghausen e.V.  "Meine Freude an Burghausen nimmt schlagartig ab", sagte Joe Viera (88) im Juli gegenüber BR-KLASSIK in einem Telefongespräch - und fügte in resigniertem Ton hinzu: "Ich weiß gar nicht, ob ich noch aufs Festival gehen soll, um dort Ansagen zu machen." Er und andere Dozenten fühlten sich vor Beginn der aktuellen Sommerkurse von der veranstaltenden "IG Jazz Burghausen e. V." (Interessengemeinschaft Jazz) ausgeschlossen. Von einem "kompletten Austausch des vertrauten und liebgewonnenen Dozententeams" war gar die Rede. Und von einem "richtigen Schock". Es hagelte Protestmails und Beschwerdebriefe von früheren Teilnehmern der Kurse an die IG Jazz, so dass deren Sprecher Andreas Bentlage gar einen "kleinen Shitstorm" ausmachte.

SCHLAFLOSE NÄCHTE

Die Hintergründe sind kompliziert. Die IG Jazz legte Wert darauf, in Corona-Zeiten auch Online-Kurse anzubieten. Joe Viera und die anderen Dozenten aus seinem Team lehnten Online-Kurse jedoch ab, weil, so Viera, "man online nicht so gut aufeinander reagieren kann, wie es beim Jazz vor allem im Ensemble-Spiel nötig ist". So wurde für die Online-Kurse ein anderes Team gesucht. Im Frühsommer 2021 wurden dann die früheren Dozenten, so Joe Viera, plötzlich davon überrascht, dass auch die in Präsenz stattfindenden Sommerkurse 2021 mit einem neuen Team geplant worden waren. Viera: "Das hat mir schlaflose Nächte bereitet. Ich habe an neun Hochschulen und Konservatorien unterrichtet - aber so etwas ist mir noch nie passiert. Die Jazzkurse sind immerhin ein Teil meines Lebenswerks."

JUNGE ATTRAKTIONEN

Das neu aufgestellte Team ist jung und musikalisch attraktiv - mit Dozenten wie Pianist Sam Hylton (Jahrgang 1992), Saxophonist Wolfgang Hanninger (Jahrgang 1982), Sängerin Karin Lischka (Jahrgang 1989) und Gitarrist Paul Brändle (Jahrgang 1992). Was diese allesamt sehr angesehenen jungen Musiker anbieten, setzt sich sprachlich klangvoll aus sogenannten "Modulen" zusammen und liest sich auch sonst ganz auf der Höhe der Zeit. Dass aber neben ihnen keiner der bisherigen Dozenten mit an Bord ist, wirkt auf frühere Teilnehmer und angestammte Dozenten irritierend.

Die Namen und Profile des bisherigen Teams reichen von Bassist Andreas Kurz (Jahrgang 1979) über Saxophonist Ignaz Dinné (Jahrgang 1971) bis Pianist Martin Schrack (Jahrgang 1951) und den auch aus Produktionen mit Allround-Humorist und -Musiker Helge Schneider erfahrenen Bassisten und Kabarettisten Reinhard Glöder (Jahrgang 1945) - eine geschlechtlich einseitige, aber biographisch und musikalisch spannende Zusammensetzung. Rund 70 Teilnehmer pro Woche notierte Joe Viera in den letzten Jahren bei den Jazzkursen im Sommer. Diesmal - allerdings auch vor dem Hintergrund von Corona-Maßnahmen - waren in der ersten Woche rund 40 Teilnehmer da, und in der zweiten sind es rund 30.

"KONSTRUKTIV UND IN HARMONIE"

Im Mautnerschloss in Burghausen finden die Jazzkurse statt | Bildquelle: Roland Spiegel Im Mautnerschloss finden die Jazzkurse Burghausen statt. | Bildquelle: Roland Spiegel In einem Handstreich ein Dozenten-Austausch über die Köpfe hinweg, wie das Team um Joe Viera meint? IG-Jazz-Sprecher Andreas Bentlage beteuert, es sei bei den Entscheidungen für die neuen Dozenten des Sommerkurses 2021 "nur um diesen einen Kurs" gegangen. "Wenn jetzt gesagt wird, wir hätten die Dozenten ausgetauscht - das stimmt einfach nicht." Bentlage sieht die Ursache der Entwicklung auch in der Haltung von Joe Viera, der sich zusammen mit seinem Team allen Online-Kursen verschlossen habe. Da man dieses Jahr bei den Sommerkursen auf zwei Schienen fahre - online und in Präsenz -, sei es naheliegend gewesen, dass man 2021 nicht mit Vieras Team plane. Bentlage räumt aber auch ein: "Wir müssen überlegen: Wie führen wir die Kurse in die Zukunft? Das kann nicht ohne Veränderungen vor sich gehen." Eine Verjüngung des Dozententeams wünsche sich die IG Jazz, die auch mehr Einfluss auf das Angebot der Jazzkurse haben möchte als bisher. Aber man wolle, so Bentlage, "die Sache konstruktiv und in Harmonie" mit Joe Viera und den ihm angeschlossenen Dozenten lösen. "Wir wollen das Ding ja nicht auf den Kopf stellen - sondern einfach nur breiter aufstellen."

Für die Sommerkurse 2021, die noch diese Woche im gewohnten Altstadt-Idyll gleich neben der in dieser Jahreszeit gern unruhig fließenden Salzach stattfindet, war eine Lösung in Harmonie nicht gelungen. Was die Zukunft betrifft, fanden inzwischen Videokonferenzen statt, die die Beteiligten unterschiedlich bewerten. Andreas Bentlage sagt: "Joe und sein Team haben verstanden, dass wir als Veranstalter letztlich den Hut aufhaben müssen." Und Joe Viera sagt: "Ich hab‘ das Gefühl, dass man uns zu sehr hineinreden will."

"SEINE VERDIENSTE WERDEN WIR WÜRDIGEN"

Für 2022, wenn Joe Viera 50 Jahre Jazzkurse Burghausen feiern kann, sollen die Jazzkurse, so Andreas Bentlage, mit einem Pool aus dem jungen und dem altvertrauten Team um Viera geplant werden. "Joe Viera hat Jubiläum, zugleich hört er auf, da kriegt er natürlich sein entsprechendes Umfeld. Seine Verdienste werden wir selbstverständlich würdigen!"                                              

Kommentar des Autors:

Neuerungen bei den Jazzkursen wie auch (noch dringender) beim Programm der Internationalen Jazzwoche sind wichtig, um zeitgemäß zu bleiben. Aber das Vorgehen in diesem Jahr durch die IG Jazz sieht auch für neutrale Beobachter so aus, als habe man die Corona-Situation nutzen wollen, um bei den Kursen einen scharfen Schnitt zu machen. Ob hinter all dem einfach ein unglückliches Kommunikationsproblem steckte oder doch eine veranstalterische List, lässt sich schwer feststellen. Eines aber sollte zu denken geben: Burghausen als Kulturstandort und touristischer Anziehungspunkt verdankt dem Musiker, Pädagogen und Initiativgeist Joe Viera viel. Vor dem Jubiläum sollte es weniger darum gehen, wer den Hut aufhat, als wer den Hut vor wem ziehen müsste. Die IG Jazz und die Stadt Burghausen sind am Zug, um Joe Viera zum Abschied von den Jazzkursen gebührend zu würdigen - am besten in einer Mischung aus jazzgemäßer Leidenschaft (die man in Burghausen zweifellos hat) und Fingerspitzengefühl.

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