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John Coltranes postum veröffentlichte CD "Blue World" Auf dem Weg zum Olymp

Der Jazzmusiker John Coltrane wurde nur 40 Jahre alt. Aber in seiner kurzen Lebenszeit hinterließ er ein gigantisches Erbe. Noch immer ist er der Saxophonist, zu dem alle aufblicken: einer der Giganten des modernen Jazz. Jetzt ist – ein Jahr nach einem anderen Sensationsfund mit Aufnahmen von ihm – eine CD mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen Coltranes erschienen. Sie heißt "Blue World".

Der Jazz-Saxophonist John Coltrane | Bildquelle: picture-alliance/dpa/Everett Collection

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Erster Gedanke beim ersten Track der CD: Das kennt man. Aber nicht ganz genauso. Die vertraute Aufnahme ist fünf Jahre älter, erschien einst auf einem Album namens "Giant Steps" – und war der damaligen Ehefrau des Saxophonisten gewidmet. Das Stück heißt wie sie: "Naima". Es ist eine bisher auf Tonträger unveröffentlichte Aufnahme von John Coltrane mit seinen Partnern aus der berühmtesten Besetzung seiner Karriere: McCoy Tyner (Klavier), Jimmy Garrison (Bass) und Elvin Jones (Schlagzeug). Der Jazz-Geschichtsschreibung war die gesamte Studio-Session von 1964, aus der sie stammt, bisher entgangen – obwohl zumindest drei Stücke daraus in einem Film vorkamen. Doch dieser Film war ein wenig bekanntes Werk (des franko-kanadischen Kunst-Filmemachers Gilles Groulx), und so blieb die Mitwirkung eines der größten Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts tatsächlich 54 Jahre lang vergessen. Erst Anfang 2018 gelangten die Bänder aus dem Archiv der nationalen kanadischen Filmbehörde an die Plattenfirma "Impulse!". Und nun also kann die Öffentlichkeit sie endlich genießen.

Hymnische Melodiebögen

CD-Cover: John Coltrane: "Blue World" | Bildquelle: Impulse Cover der CD | Bildquelle: Impulse Zum Beispiel das Stück "Blue World" – nach ihm wurde die CD benannt. Angelehnt an den Klassiker "Out of this World" von Harold Arlen, findet John Coltrane hier in mittlerem Tempo hymnische Melodiebögen, bei der Kenner von Coltranes Lebenswerk den Atem anhalten. Denn das erinnert heute viele an etwas, was damals noch in der Zukunft lag. Nur ein halbes Jahr nach den Aufnahmen, die John Coltranes Quartett im Auftrag des Filmemachers im Studio Rudy van Gelders in New Jersey einspielte, entstand Coltranes Album "A Love Supreme", im Dezember 1964. Moderner Jazz von einer Schönheit der Melodiebögen und einer spirituellen Ausdruckskraft, die Geschichte machten. Als der junge Filmemacher Groulx also John Coltrane um Stücke für seinen Film bat, war der Musiker schon deutlich auf dem Weg zu diesem Olymp seiner Kunst.

Entdeckung eines Dokuments

Das Stück "Village Blues" ist gleich dreimal auf der CD "Blue World" enthalten. Und die lyrische Ballade "Naima" zweimal. John Coltranes Quartett spielte die Musik ein, ohne bereits Bilder aus dem Film zu kennen – anders als etwa Miles Davis bei seiner gefeierten Filmmusik zu "Fahrstuhl zum Schafott" einige Jahre früher. Jazz als Soundtrack in französischsprachigen Filmen war damals ein beachtlicher Trend. Coltrane war zu der Zusammenarbeit gern bereit, stellte dem Filmemacher aber einfach eine Auswahl von Stücken zusammen, die er bereits in anderen Versionen aufgenommen hatte. Umso interessanter ist diese Musik heute für Hörer, die gern Vergleiche anstellen. Im wesentlichen Unterschied zu einer Veröffentlichung, die vor zwei Wochen 34 Jahre alte Aufnahmen des Trompeters und Coltrane-Kollegen Miles Davis als kaltes Retortenprodukt in die Welt setzte, ist diese CD, wieder überwacht von Coltranes Sohn, dem Saxophonisten Ravi Coltrane, sorgfältig so gestaltet, dass man sich als Hörer wie der Mit-Entdecker eines Dokuments fühlt. Eine Freude – mit Tönen von großem Nachhall.

Sendung: "Leporello" am 27. September 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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