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Juliette Gréco und Miles Davis Die Muse und der Trompeter

Juliette Gréco kann am 7. Februar ihren 90. Geburtstag feiern. 1949 war sie gerade 22, als sie Miles Davis begegnete. Der nur ein Jahr ältere Trompeter, der vier Jahrzehnte lang für viele Musiker und Fans die höchste Autorität des modernen Jazz war, spielte gerade in der berühmten Konzerthalle Salle Pleyel. Eine Begegnung, die beide tief beeindruckte - und in eine Liebesgeschichte mündete, die beide aus unterschiedlichen Gründen nicht leben konnten. Einer davon: die Rassendiskriminierung in den USA, die selbst bekannte Künstler im Alltag deutlich zu spüren bekamen.

Sängerin und Schauspielerin Juliette Greco | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Für europäische Intellektuelle hingegen waren diese beiden Künstler ein - mindestens imaginäres - Traumpaar: die singende Muse der Existenz-Philosophen und das scharfkantige schwarze Jung-Idol des Jazz. Der Jazz war eine Musik, die die Pariser Existenzialisten-Kreise ohnehin faszinierte. Der Schriftsteller und Trompeter Boris Vian gehörte zu ihnen. Und viele junge Franzosen verehrten nicht nur Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre und Albert Camus, sondern auch etwa den aus New Orleans stammenden Jazzmusiker Sidney Bechet, der nach großen Erfolgen in Europa 1949 nach Paris übersiedelte. Chansons und Jazz waren sich schon zu Zeiten der Tänzerin Josephine Baker und etwa in den Liedern des französischen Sängers und Dichters Charles Trenet in den 1930er Jahren näher gekommen.

Karrierebeginn im Künstlerviertel

Als Juliette Gréco in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Karriere aufbaute, verbrachte sie viel Zeit in den Cafés und Kellern des Pariser Künstlerviertels Saint-Germain-des-Prés. Jean-Paul Sartre, Jazz-Liebhaber und über viele Jahre hinweg die intellektuelle Seele des Viertels, unterstützte sie bei ihren ersten Karriere-Schritten. "Wie jeder junge Mensch meiner Generation tauchte ich geradezu in den Jazz ein", sagte Juliette Gréco später. In Clubs wie dem "Tabou" begegnete sie weltberühmten Musikern. "Sie kamen nach dem Krieg an, wir hörten ihnen eifrig zu, wir liebten sie."

Elektrisierende erste Eindrücke

Im Mai 1949 hörte sie in der Pariser Salle Pleyel das Quintett von Miles Davis und Tadd Dameron beim Festival International de Jazz, dem bis dato größten Jazz-Ereignis in Europa, initiiert von Autor und Kritiker Charles Delaunay. Einem Journalisten der Tageszeitung "Libération" erzählte Juliette Gréco fünfzig Jahre später in sprachlich funkelnden Sätzen, wie sie das erlebt hatte: "Wir waren beide sehr jung. Er spielte also in der Pleyel. Ich war blank. Boris Vians Frau, Michelle, schleuste mich durch die Kulissen ein. Ich hab diesen Burschen von der Seite gesehen. Sehr schönes Gesicht. Ich spürte eine Harmonie zwischen der Person, den Gebärden und dem Klang der Trompete. Man musste kein Gelehrter sein, um zu merken, dass er bereits zu den ganz Großen gehörte. Wir sind dann in einer Gruppe von Leuten essen gegangen. Ich sprach seine Sprache nicht, er sprach meine nicht. Und doch … das Wunder der Liebe!" Sehr jung, das bedeutete: Sie war 22, er wurde gerade 23.

Seine extreme Schönheit und seine Genialität. Diese Begegnung haute mich um. Dieses Profil eines ägyptischen Gottes...
Juliette Gréco schwärmt über Miles Davis

Juliette Greco 1964 | Bildquelle: picture alliance / Heritage Images Juliette Gréco | Bildquelle: picture alliance / Heritage Images In einem Interview für das Magazin "Point de vue" kam sie in einer Ausgabe aus dem Jahr 2009 fast noch mehr ins Schwärmen über den Trompeter und die Begegnung mit ihm: "Da war zunächst die Schönheit dieses Mannes. Seine extreme Schönheit und seine Genialität. Die Kraft und die Fremdheit, die Andersartigkeit und die Modernität dessen, was er spielte und was er war. Diese Begegnung haute mich um. Dieses Profil eines ägyptischen Gottes … Ich war zwanzig [sic!], der Krieg war gerade vorüber, und Miles' Musik klang für mich nach Freiheit."

Spaziergänge an der Seine

Auch auf Miles Davis machte die Begegnung mit Juliette Gréco damals sehr tiefen Eindruck. Es gibt Fotos von den beiden, Miles Davis mit zurückgekämmtem Haar, Anzug, Krawatte, weißes Hemd, die Trompete am Mund, und neben ihm steht eine junge weiße Frau mit dunklen Haaren, Juliette Gréco eben - und drückt die Ventile seiner Trompete. Dass jemand anderer dieses Instrument überhaupt anfassen durfte! Und dann auch noch öffentlich! Miles Davis schilderte später diese Begegnung aus seiner Sicht, eine Episode, die in der Miles-Davis-Biographie von Wolfang Sandner ausführlicher nachzulesen ist. "Juliette und ich pflegten an der Seine spazieren zu gehen, Hand in Hand, küssten uns, schauten uns in die Augen, küssten uns wieder und drückten unsere Hände noch etwas fester. Es war wie Magie, als sei ich hypnotisiert worden, als sei ich in einer Art Trance. Ich hatte so etwas zuvor noch nie erlebt."

Miles' Abreise nach Amerika

Bis dahin, so ergänzte Miles Davis noch, sei Musik sein ganzes Leben gewesen - bis er Juliette Gréco traf und sie ihm beibrachte, was es bedeute, etwas anderes als Musik zu lieben. Eine Begegnung wie ein Donnerschlag also, von beiden Seiten ganz offenbar so empfunden. Und doch reiste Miles Davis nach zehn Tagen wieder ab. Laut Juliette Gréco hat damals der Philosoph Jean-Paul Sartre Miles Davis sogar gefragt, warum er Juliette Gréco nicht heirate, und Miles soll geantwortet haben: um sie nicht unglücklich zu machen und es ihr zu ersparen, in Amerika das Leben der Frau eines Schwarzen zu führen. Die Sache war natürlich noch etwas komplizierter: Miles Davis war verheiratet, hatte zwei Kinder, erwog sicher auch nicht, sich nach einer eventuellen Scheidung in Paris niederzulassen. Und Juliette Gréco arbeitete damals bereits an einer Karriere als Schauspielerin und Sängerin und wollte Paris nicht den Rücken kehren.

Schmerzliches Treffen

Jazzidol Miles Davis | Bildquelle: Rue des Archives/RDA/Süddeutsche Zeitung Photo Miles Davis | Bildquelle: Rue des Archives/RDA/Süddeutsche Zeitung Photo Jahre später sang Juliette Gréco in New York. In verschiedenen Interviews schilderte sie - übrigens abweichend von der Version in Miles Davis' Autobiographie -, wie sie im Dachrestaurant des Hotels Waldorf-Astoria Miles Davis zum Essen traf. Miles habe den Pianisten John Lewis und dessen zwei Kinder mitgebracht, damit, wie Juliette Gréco sagt, das Treffen nicht aussah "wie dasjenige eines Schwarzen mit seiner Hure". Aber es wurde dennoch zu einem schmerzhaften Erlebnis. Eine von Juliette Grécos Schilderungen, veröffentlicht im englischen "Guardian", liest sich so:  "Ich erzähle Ihnen jetzt nicht, wie die Miene des Oberkellners aus der Form geriet, als die Gruppe eintrat. Zwei Stunden dauerte es, bis uns das Essen serviert wurde; und servieren ist nicht das richtige Wort dafür. Man hat uns das Essen sozusagen vor die Schnauze geworfen, als wäre wir Hunde, die zuschnappen, wenn man mit der Hand zu nah kommt. Miles ertrug es nicht, dass ich solche rassistischen Szenen miterlebte. Er schämte sich für sein Land." Sie ergänzte dann noch: "In den USA wurde seine Hautfarbe für mich eklatant sichtbar, wohingegen ich in Paris nicht einmal Notiz davon genommen hatte, dass er schwarz war."

In den USA wurde seine Hautfarbe für mich eklatant sichtbar, wohingegen ich in Paris nicht einmal Notiz davon genommen hatte, dass er schwarz war.
Juliette Gréco über Miles und den Rassismus in den Vereinigten Staaten

Paris als Zufluchtsort für Jazzer

Viele schwarze Musiker aus den USA wählten damals ein anderes Land: Frankreich. Sidney Bechet, Dexter Gordon, Kenny Clarke, Bud Powell und andere mehr ließen sich dort nieder - für einige Jahre oder, wie etwa im Falle von Bechet und Clarke, für immer. Für Juliette Gréco klang Jazz nach Freiheit, und für die Jazzmusiker fühlte sich - in jenen besonders weltoffenen Jahren - ein Land wie Frankreich nach Freiheit an.

Letzte Begegnung

Miles Davis schaute immer mal wieder vorbei - und nahm stets den Kontakt mit Juliette Gréco wieder auf. Bis zur letzten Begegnung, die ebenfalls der "Guardian" geschildert hat. Diese Begegnung fand kurz vor Miles Davis' Tod im Jahr 1991 statt, als er Juliette Gréco zu Hause besuchte. In einem bestimmten Moment hörte sie plötzlich hinter sich Miles' berühmtes, dämonisch keckerndes Lachen. Und zwar, als sie gerade ans Fenster getreten war, um hinauszusehen. Was er denn habe, fragte sie ihn. Und Miles Davis antwortete: "Egal, in welcher Ecke der Welt ich diesen Rücken sehen würde, ich wüsste immer, dass es Deiner ist."

Schlanke Trompete, dunkle Stimme

Beide: Stil-Ikonen. Beide: herausragende Künstler eines punktgenauen Ausdrucks. Beide: scharfkantige Silhouetten ihrer Zeit. Miles Davis und Juliette Gréco. Seine schlanken, sparsam-dynamischen Trompetenlinien, ihre dunkel getönte, ungekünstelte Stimme, die in makelloser Artikulation Gefühlsnuancen der Texte wie unter einem Vergrößerungsglas erscheinen lässt: Das sind eng verwandte künstlerische Welten - von zweien, deren Liebe nicht zuletzt an den besonderen gesellschaftlichen Schranken der USA scheiterte.

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