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Zum 100. Geburtstag von Thelonious Monk Damenbrille, Ziegenbart und kantige Evergreens

Stücke von ihm gehören seit inzwischen sieben Jahrzehnten zum ABC des Jazz. Er spielte Klavier mit unorthodox gestreckten Fingern und brachte seine Töne mit Absicht ins Stocken - das klang unverwechselbar. Der 1982 verstorbene große Jazzmusiker Thelonious Monk wäre am 10. Oktober 100 Jahre alt geworden.

Jazzpianist und -komponist Thelonious Monk | Bildquelle: picture alliance/akg-images

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Er sah seltsam aus, wenn er am Klavier saß. Er scharrte mit den Füßen am Boden hin und her, schien mit den Fingern, die er gerade nach vorn streckte und nicht schulmäßig zu kleinen Hämmerchen bog, geradezu in die Tastatur hinein zu stechen - und wippte dazu merkwürdig steif mit dem Oberkörper hin und her. Manchmal trug er beim Spielen eine Pelzmütze, dann wieder einen schmalkrempigen Hut oder eine karierte Schiebermütze, manchmal auch eine hippe Sonnenbrille. Eine Zeitlang war diese Brille ein besonders schickes Damenmodell.

Eine Jahrhundertfigur

Das gefiel ihm - wieso sollte er sich weiter darüber Gedanken machen? Ein Unkonventioneller, der im Aussehen wie in seinem Spiel und seinen Kompositionen radikal nach ganz eigenen Vorstellungen ging - und Musikgeschichte schrieb: Thelonious Sphere Monk, geboren am 10. Oktober 1917 in Rocky Mount, North Carolina - einer der folgenreichsten Musiker der Jazzgeschichte. Sein wie ein schwarzer Schattenriss fotografiertes Profil vor der Skyline von Manhattan mit markant zulaufender Bartspitze ist ein bis heute faszinierendes Motiv. Das Profil einer Jahrhundertfigur.

Melodien, die sich festhaken

"‘Round Midnight", "Monk’s Mood", "Blue Monk", "Off Minor" oder auch "Ugly Beauty" heißen berühmte Stücke von ihm. Kaum ein anderer Musiker des Jazz hat so prägnante Stücke und Stücktitel hinterlassen. Für große Interpreten sind sie bis heute eine stete Herausforderung - und Marksteine, an denen sich neuer Jazz stets messen muss. Sie sind nicht lieblich, sondern meistens eher schroff - mit Tönen, die oft ungelenk wirken und wie auf Stelzen daherkommen.

Aber auf diesen Stelzen, mit staksigen Schritten, entwickeln sie eine ganz eigene Magie. Es sind Melodien, die man nicht vergisst. Sie haken sich nachdrücklich im Gedächtnis fest. Und dort bleiben sie, im Unterschied zu Ohrwürmern der glatten Sorte, stets faszinierend. Denn in ihrer unorthodoxen Bewegung und mit ihren ganz scharfen Konturen werden sie zu kantigen Klangbildern fern aller Klischees. In den Original-Aufnahmen haben sie eine Intensität, die kaum kopierbar ist - selbst von ganz großen heutigen Interpreten nicht. Ein völlig einzigartiger Klang: Monk-Musik. Der Sound eines radikalen Individualisten. Der gar nicht anders konnte, als ein Innovator zu werden.

Klavier und Kirchenorgel

Jazzpianist und -komponist Thelonious Monk | Bildquelle: picture alliance/akg-images Bildquelle: picture alliance/akg-images Er wuchs in New York auf. Dorthin war seine Familie in den frühen zwanziger Jahren gezogen - in die West 63rd Street, ganz in der Nähe des Ortes, wo später das "Lincoln Center for the Performing Arts" gebaut wurde, jenes Kulturzentrum, zu dem auch die Metropolitan Opera und die Juilliard School of Music gehören. In diesem Viertel, genannt San Juan Hill, lebten damals viele Afro-Amerikaner.

Thelonious Monk lernte seit seinem 6. Lebensjahr Klavier, hatte seit dem elften Lebensjahr auch Unterricht, besuchte eine öffentliche High School, die er allerdings nicht abschloss. Er spielte auch Kirchenorgel, um seine Mutter, die in der Kirche sang, zu begleiten. Und er spielte bei sogenannten House Rent Parties: Musikalischen Festen in der Familienwohnung, zu denen man Bekannte aus der Nachbarschaft einlud, um dabei einen Hut herumgehen zu lassen und Geld für die Miete zu verdienen.

"Grusel-Musik"

Da Monks Vater die Familie früh verlassen hatte, mussten er und seine beiden Geschwister sich nach der Decke strecken. Die High School verließ er mit 17, um mit einer Wanderpredigerin auf Tour zu gehen. Seine bevorzugte Musik war damals schon der Jazz. Der Harlem-Stride-Pianist James P. Johnson lebte in der Nachbarschaft von Monks Familie. Fats Waller, Duke Ellington faszinierten ihn genauso wie Earl Hines.

Er hatte eine gute Technik, fiel mir aber schon damals durch eigenartige Phrasierungen auf.
Pianistin Mary Lou Williams

In Kansas City hörte ihn damals die Pianistin Mary Lou Williams, die über ihn sagte: "Er hatte eine gute Technik, fiel mir aber schon damals durch eigenartige Phrasierungen auf." Mary Lou Williams schilderte auch, dass Thelonious Monks Spiel damals gern von Insidern als "Grusel-Musik" bezeichnet wurde, wegen der ungewöhnlichen Harmonien, die er offenbar schon früh benutzte - und die an Gruselfilme erinnerten.

Nichts perlt: Alles spreizt sich

In den 1940er Jahren wurde Thelonious Monk Hauspianist in "Minton’s Playhouse" im New Yorker Stadtteil Harlem: jenem Club, in dem der moderne Jazz aus der Taufe gehoben wurde - von Musikern wie Schlagzeuger Kenny Clarke, Trompeter Dizzy Gillespie und Gitarrist Charlie Christian, die sich dort zu Jamsessions trafen. Monk gehörte zu dieser Clique, deren Stil, der hektisch-sprunghafte "Bebop", zur Keimzelle des Avantgardejazz nach 1940 werden sollte.

Jazzpianist und -komponist Thelonious Monk | Bildquelle: picture alliance/akg-images Bildquelle: picture alliance/akg-images Thelonious Monk brauchte allerdings länger als seine Kollegen, um sich musikalisch durchzusetzen. Sein Spiel war einfach zu sperrig - es widersetzte sich jeder Geläufigkeit. Und manchmal wirkte es auf andere, als sei da ein vermeintlich minderbegabter Pianist am Werk: Nichts perlte da, alles spreizte sich. Thelonious Monk spielte nie schnell - aber er war ein Virtuose des Timings und der Atmosphäre.

Er setzte Dissonanzen und Tempoverschiebungen in nie gekannter Konsequenz ein. Und er schuf eine Intensität der Stimmung, die noch immer ihresgleichen sucht. Zu denken gibt auch ein weiterer Satz der Pianistin Mary Lou Williams: Sie sagte, Monk spiele so, wie er spielt, "weil er alles andere satt hat. Ich WEISS, wie Monk spielen kann." Einer, der starke technische Fertigkeiten besessen, sie aber bewusst nicht hervorgekehrt habe.

Sein stärkstes Stück: eine lyrische Komposition mit dem Titel "‘Round Midnight" (auch bekannt als "‘Round About Midnight"), erstmals veröffentlicht 1944 (allerdings nicht von Monk selbst) und einigen Jazzforschern zufolge schon 1936 geschrieben. Diese Ballade (so nennen Jazzmusiker lyrische Stücke) ist das berühmteste langsame Stück des modernen Jazz und der meistgespielte von einem Jazzmusiker komponierte Jazz-Standard überhaupt. Ein Stück, das leise und in verschatteter Schönheit daherkommt.

Ein fünftöniges Motiv umreißt gleich am Anfang den Klangraum und fesselt das Ohr. B-es-f-b-ges: Vier Töne steigen in Sechzehnteln auf, dann nach einem kleinen Abwärtssprung ruht die Figur auf einer punktierten Viertel. Die Basslinie schreitet dazu in ganz gemessenem Tempo chromatisch nach unten - und die harmonische Sphäre dahinter ist es-Moll. Eine bezwingende, nachtblaue Schönheit entwickelt sich dabei. Eine, die weit weg ist von bis dato anderen lyrischen Jazzstücken, und die klanglich schon durch die Wahl der entlegenen Tonart abseits des Gewohnten ist.

Die Komposition ist wie ein klangliches Porträt der einzigartigen Stimmung rund um oder nach Mitternacht, zum Beispiel in einem Jazzclub, wenn gerade die letzten, melancholisch gefärbten Töne gespielt werden und manche Musiker ihre Instrumente schon eingepackt haben. Sich leerende Clubs, in denen nur noch ein harter Kern von Nachtschwärmern übrig ist, die Köpfe angefüllt von Eindrücken des ganzen Tages. Wenn nach der Pflicht die Kür kommt. Wenn das Bier im Glas schon im unteren Drittel angelangt ist und langsam schal schmeckt. Wenn solche Dinge aber keine Rolle mehr spielen, weil man zu einem Kreis Erlauchter gehört. Es gibt auch einen Text zu dem Stück, geschrieben von Bernie Hanighen. Darin heißt es: "Memories always start 'round midnight".

Memories always start 'round midnight.
Bernie Hanighen

Kunst, die sich nicht um die Stunde schert

Besonders schön hat Thelonious Monk dieses von Tausenden anderen nachgespielte Stück auf der Platte "Thelonious himself" gespielt - einem Album mit Solo-Aufnahmen, die 1957 in New York entstanden. Wie schlaftrunken tastet er sich da in diese Ode an die Nacht hinein. Schwarzblau und ungeschönt, nimmt sie ganz allmählich Gestalt an, atmet Rauchschwaden und modrige Kellerluft, riecht nach feuchtgeschwitzten Hemdkrägen und nikotingelben Fingerspitzen, aber auch nach Musiker-Hingabe und Hörer-Glück. Der Taumel der doch noch überwundenen Erschöpfung ist besonders in Monks Spiel in diesen Solo-Aufnahmen enthalten - die Augenblicks-Versunkenheit einer Kunst, die sich nicht um die Stunde schert.

Pannonica de Koenigswarter

Die Ballade "‘Round midnight" machte auch eine berühmte Jazz-Mäzenin auf Thelonious Monk aufmerksam: Pannonica de Koenigswarter, eine Nachfahrin der englischen Rothschilds, die nach dem Zweiten Weltkrieg häufig nach New York reiste und schon damals mit Jazzmusikern befreundet war, hörte Ende der vierziger Jahre durch den Jazzpianisten Teddy Wilson, der ihr häufig Platten vorspielte, eine Aufnahme von "‘Round midnight" und war sofort fasziniert. "Ich mochte meinen Ohren nicht trauen. Ich hatte noch nie etwas Ähnliches gehört", schilderte sie ihr Erlebnis.

Ich mochte meinen Ohren nicht trauen. Ich hatte noch nie etwas Ähnliches gehört.
Pannonica de Koenigswarter

Das Stück habe sie dann mindestens zwanzigmal hintereinander abgespielt und schließlich ihr Flugzeug verpasst. Pannonica de Koenigswarter kümmerte sich besonders in den späten Jahren um Thelonious Monk und dessen Familie, als der Musiker sich zurückzog und mit schweren Depressionen zu kämpfen hatte. Monk war verheiratet. Für seine Frau Nellie, mit der er 1947 die Ehe eingegangen war und zwei Kinder hatte, schrieb er das wunderschöne Stück "Crepuscule with Nellie", das 1957 auf der Platte "Monk’s Music" veröffentlicht wurde. Monks Frau Nellie ging mit, als Monk sich 1973 in das Haus der Baronesse in New Jersey zurückzog und dieses Domizil neun Jahre lang nur noch für drei Konzerte verließ. Auch für Nica de Koenigswarter schrieb Monk ein hinreißendes Stück: "Pannonica", veröffentlicht 1956 auf dem Album "Brilliant Corners".

Leben, Inbrunst, Eigensinn

Jazzpianist und -komponist Thelonious Monk | Bildquelle: picture-alliance / KPA Copyright Bildquelle: picture-alliance / KPA Copyright Thelonious Monk wurde als Musiker gerühmt, der als erster Jazzer einen Sinn für spezifisch moderne Ästhetik hatte - so sagte es sinngemäß der französische Jazzmusiker und Theoretiker André Hodeir. In den Worten der Pianistin Mary Lou Williams klingt dasselbe etwas hemdsärmeliger, aber auch plastischer: "Er war einer der ersten richtigen Modernisten, machen wir uns nichts vor".

Monks Karriere endete vorzeitig, nicht zuletzt, weil er keine Kompromisse machte. In den 1960er Jahren beim angesehenen Label "Columbia" gehörte er zu den Stars der internationalen Jazzwelt. Doch sein Schaffensdrang versiegte allmählich. Er schrieb kaum noch eigene Kompositionen. Und schließlich trennte sich seine Plattenfirma sich von ihm, weil er sich weigerte, Beatles-Stücke aufzunehmen, wie ihm von dem Label vorgeschlagen worden war. Bald darauf verstummte Monk.

Er war einer der ersten richtigen Modernisten.
Pianistin Mary Lou Williams

Nur 71 Kompositionen hat dieser Musiker hinterlassen - aber die meisten davon haben in der Interpretationsgeschichte des Jazz seither eine so starke Resonanz erhalten, dass Thelonious Monk zu den bedeutendsten Komponisten dieses Musikgenres zählt. Sein Klavierspiel und seine Stücke steckten voller Leben, voller Inbrunst und schönem Eigensinn. Am 17. Februar 1982 starb Thelonious Monk im Haus seiner Gönnerin. Seine Töne, mit ihren extremen Sprüngen und ihren schroffen Kontrasten, sind auf unverwechselbare Art lebendig geblieben.

Thelonious Monk auf BR-KLASSIK

Classic Sounds in Jazz am 11.10.2017
Profound blue
Mit Musik von Thelonious Monk, June Tabor, Wolfgang Muthspiel und anderen
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zum Nachhören:
Jazz und mehr am 07.10.2017
Ein Mönch kommt selten allein
Musik von Klosterbrüdern und -schwestern Mit Werken von Thelonious Monk, Hildegard von Bingen, Komitas und anderen
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Jazztime: Piano and straight am 10.10.2017
Zum 100. Geburtstag des Pianisten Thelonious Monk
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Moderation und Auswahl: Henning Sieverts

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