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300 Jahre Markgrafentheater Erlangen Haus mit wechselvoller Geschichte

Es stand mehrmals kurz vor dem Ruin. Auch die Abrissbagger waren schon fast angerückt. Doch Erlangen bewahrte sein Markgrafentheater. Heute – 300 Jahre nach der Gründung – ist das "hochfürstliches Oper- und Comödienhaus" das älteste bespielte Barocktheater Süddeutschlands. Dabei erschließt sich dem Besucher das von außen unscheinbare Juwel erst von innen.

Markgrafentheater Erlangen | Bildquelle: Jochen Quast

Bildquelle: Jochen Quast

Das Markgrafentheater in Erlangen glänzt im Inneren. Keine prachtvolle Fassade lockt den Besucher an. Man betritt ein unauffälliges Haus am Rand des Erlanger Schlossparks, gelangt in ein nüchternes Foyer aus den 1960er Jahren, erreicht über kahle Steintreppen die oberen Ränge und öffnet die Tür zum Zuschauerraum. Und endlich strahlt sie einem entgegen – die vergoldete Pracht des weiten Runds: die warmen hölzernen Balustraden mit ihren fein ziselierten Ornamenten, die Logen zwischen den ausgeschmückten Holzsäulen. Den Raum überstrahlt die Fürstenloge mit zwei vergoldeten Hermen an jeder Seite, darüber ein prunkvoller Baldachin.

Barocke Pracht

Am 10. Januar 1719 wurde das Theater, damals bezeichnet als "Hochfürstliches Opern- und Comödienhaus", von Markgraf Georg Wilhelm von Brandenburg-Bayreuth eröffnet. Erlangen war die Nebenresidenz der Markgrafen. Dort hielt sich der Hof nur zeitweise auf – wollte aber auf das Vergnügen von Opern- und Schauspielaufführungen nicht verzichten.

Heute ist das Markgrafentheater Erlangen das älteste noch bespielte Barocktheater Süddeutschlands. Es gehört der Stadt und ist der Hauptspielort des Theaters Erlangen, das ein eigenes Schauspielensemble unterhält, während das Musiktheater durch gelegentliche Gastspiele vertreten ist. Modernes Theater im historischen Gebäude: Was heißt das für den Spielbetrieb? Das Haus verkörpert eine vergangene Theaterkultur. Eine Kultur, die andere Zwecke erfüllen musste als heutige Theater. Diese waren für eine gänzlich anders strukturierte Gesellschaft bestimmt. Für viele andere Barocktheater steht daher der Status als Denkmal im Vordergrund. Die Erhaltung hat oberste Priorität, nur hin und wieder erfüllt kulturelles Leben das historische Monument, so etwa im Fall der berühmten "großen Schwester" des Erlanger Theaters, dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth, UNESCO-Welterbe und erst im vergangenen Jahr nach einer umfangreichen Restaurierung wiedereröffnet.

Modernes Theater in Barockkulisse

Ein moderner Spielbetrieb mit eigenem Ensemble bedeutet daher eine große Herausforderung für die Theatermacher von heute – der aber auch seine besonderen Reize hervorbringt, wie der Schauspieler Hermann Große-Berg meint: "Durch diese Herausforderung kommt immer etwas ganz Besonderes heraus, weil man mit diesem Widerspruch leben muss und der Frage, wie man damit umgeht. Virginia Woolf habe ich hier gespielt, das war dann ein recht moderner, abstrakter Bühnenraum, und das funktionierte trotzdem in diesem wunderschönen Barockraum."

Irgendwie funktioniert das, auch wenn es ein Gegensatz ist.
Hermann Große-Berg, Schauspieler

Wechselvolle Geschichte

Eines der acht Randbilder des Homann’schen Plans zum Opern- und Comoedienhaus von 1721 | Bildquelle: Bayerische Staatsbibliothek Eines der acht Randbilder des Homann’schen Plans zum Opern- und Comoedienhaus von 1721 | Bildquelle: Bayerische Staatsbibliothek In den 300 Jahren seiner Existenz stand das Markgrafentheater Erlangen mehrfach kurz vor dem Ruin – manchmal wegen finanzieller Schwierigkeiten, manchmal wegen Baufälligkeit. Ab 1740 ließ die berühmte Markgräfin Wilhelmine, die Schwester des Preußenkönigs Friedrich II., den Innenraum behutsam im Stil des Rokokos umgestalten – dieser Zustand ist weitgehend bis heute erhalten geblieben.

Anders als das äußere Gebäude. Das Theater musste 1959 wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Es gab drei Optionen: entweder den vollständigen Erhalt, was einer Musealisierung gleichgekommen wäre, denn das barocke Vorderhaus war für einen modernen Theaterbetrieb kaum geeignet, oder Abriss und Neubau, was zunächst von der Stadtverwaltung favorisiert wurde, oder eine Zwischenlösung. Nach langen Debatten entschied sich die Stadt für die Zwischenlösung: Erhalt und Renovierung des barocken Innenraums, der mit einer komplett neuen "Außenhülle" und einem Vorderhaus im Stil der 1960er Jahre umbaut wurde.

Fürstenstolz und Bürgersinn

Wechselvoll war auch die Geschichte der Nutzung. Nach der Markgrafenzeit ging das Theater wie das ganze Fürstentum Brandenburg-Bayreuth an das Königreich Bayern über. König Ludwig I. vermachte es der Universität, die aber finanziell überfordert war. 1838 kaufte die Stadt Erlangen das Gebäude und verpachtete es an selbständige Theaterunternehmer. Ab 1876 bestimmte über ein Jahrhundert lang der von Bürgern gegründete Gemeinnützige Verein Erlangen (gVe) die Geschicke des Theaters, der renommierte Gastspiele von großen Häusern wie dem Wiener Burgtheater oder dem Bayerischen Staatsschauspiel geholt hat. So hinterließen Stars wie Joseph Meinrad, Hanna Schygulla oder Mario Adorf ihre Widmungen im Gästebuch.

Auch im Musikbereich verpflichtete der gVe, der heute immer noch mehrere Konzertreihen in Erlangen veranstaltet, große Namen, die im Markgrafentheater auftraten: darunter Max Reger, Paul Hindemith, Wilhelm Kempff oder Walter Gieseking. Zeitweise gab es auch Gastspielverträge mit den städtischen Bühnen von Nürnberg und Bamberg. In der Nachkriegszeit bot das Theater vor allem den Studenten eine willkommene Abwechslung vom "Muff unter den Talaren" der Universität, wie einer von ihnen, Hans Magnus Enzensberger, in seiner jüngst erschienenen Autobiografie "Eine Handvoll Anekdoten" berichtet: "Dennoch fand dort einmal im Jahr ein Ereignis statt, das sich mit einem hochtrabenden Namen schmückte: die 'Internationale Theaterwoche der Studentenbühnen'. (…) Es war der einzige Ort, an dem es Krach und Wonne gab. Obwohl niemand Geld hatte, reisten aus Stockholm und Parma, aus Warschau und Paris Theatertruppen mit altertümlichen Bussen an. Sie kamen aus sechzehn Ländern. Einmal waren sogar Studenten aus Istanbul und aus Brasilien dabei."

Es war der einzige Ort, an dem es Krach und Wonne gab.
Autor Hans Magnus Enzensberger

Vom Gastspieltheater zum festen Ensemble

Markgrafentheater Erlangen | Bildquelle: Jochen Quast Bildquelle: Jochen Quast Die Studentenbewegung war es dann auch, die die entscheidenden Impulse für die weitere Geschichte des Markgrafentheaters setzte: So entstand 1974 aus der Studentenbewegung das "Theater in der Garage". Durfte Manfred Neu, der erste Theaterleiter, anfangs nur das Weihnachtsmärchen im großen Haus zeigen, erkämpften sich seine Nachfolger immer mehr Freiräume und Aufführungsmöglichkeiten im Haupthaus. Daraus ist das Theater Erlangen hervorgegangen, das heute dafür sorgt, dass das Markgrafentheater auch nach 300 Jahren immer noch im Geiste seines Gründers die Bretter beherbergt, die "die Welt bedeuten".

Sendung: "Allegro" am 10. Januar 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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