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Alexander Skrjabin 12 Etüden op. 8 für Klavier

Alexander Nikolajewitsch Skrjabin - Mystiker und Philosoph, Gnostiker und Lyriker, Exzentriker und Romantiker. Will man den Komponisten und Pianisten in eine Schublade zwängen, tut man sich schwer. Zu viel hat er erreichen wollen, zu viele Einflüsse haben ihn geprägt, nicht nur in geistig-philosophischer, vor allem in musikalischer in Hinsicht. Seine zwölf Etüden sind als Klavierzyklus als op. 8 erschienen. Sylvia Schreiber stellt dieses einflussreiche Werk gemeinsam mit dem Pianisten Andrei Korobeinikov vor.

Komponist Alexander N. Skrjabin | Bildquelle: Sammlung Megele/Süddeutsche Zeitung Photo

Bildquelle: Sammlung Megele/Süddeutsche Zeitung Photo

Das starke Stück

Alexander Skrjabin - 12 Etüden, op. 8

Frédéric Chopin. Daguerreotypie, Paris 1849, von Louis-Auguste Bisson (1814-1876). | Bildquelle: BR Bildquelle: BR Einfluss-reich ist es im wortwörtlichen Sinne. Und darum streiten sich Musikwissenschaftler bis heute, woher denn nun der größte Einfluss käme, in diesem op. 8. Chopin, Liszt, vielleicht Debussy? Auch der späte Beethoven wird ins Rennen geschickt und Richard Wagner. Als ob die Frage nach der Henne und dem Ei irgendeine Bedeutung für die Wirkung der Musik hätte - meint der Pianist Andrei Korobeinikov.
"Es gibt einfach Dinge, die kann man nicht analysieren. Wir können natürlich die Harmonien auseinander nehmen, aber da steckt viel mehr drin. Unerklärliches. So ist das auch bei Skrjabin mit seinen Farben und den geistigen Inhalten, wie in den späten Werken Mysterium und den Prometheus."

Zwischen technischer Raffinesse und Melodiösität

In Skrjabins op. 8 stehen kraftvolle Passagen neben lyrischen Szenerien, es trifft Apokalyptisches auf Schmeichlerisches. Das Gegensätzliche wird zum Prinzip! Je nach Ansatz des Pianisten interpretiert er die einzelnen Etüden mehr mit Hinblick auf die technischen Raffinessen der komplexen Akkorde oder arbeitet die Melodiebögen heraus. Andrei Korobeinikov lenkt das Augenmerk vor allem auf die inneren, mathematischen Zusammenhänge. Für ihn sind die Stücke eine technische Herausforderung, als Weiterentwicklung Chopinscher Etüden - und doch blinzelt Skrjabin bereits in ein neues Jahrtausend - mit der ungewissen Stimmung des „fin de siècle“ im Nacken.

"Selbst wenn die Form schon noch an Chopin erinnnert, fühle ich in der Musik immer so ein inneres Glühen, ein Feuer! Das ist typisch für Skrjabin, wahrscheinlich wurde er mit dieser inneren Flamme geboren. Das heißt, der pianistische Anspruch entspricht durchaus dem, den Chopinsche Etüden haben, aber die ganze Atmosphäre ist eine andere, hier hat Skrjabin sich in den Etüden op. 8 weiter entwickelt." (Andrei Korobeinikov)

Keine jugendliche Leichtigkeit mehr

23 Jahre alt war Skrjabin, als er die Etüden komponierte. Von jugendlicher Leichtigkeit oder auch von der damals durchaus modernen selbstmitleidigen Melancholie kann nicht mehr so sehr Rede sein, das Gefühl der Romantik hat er weitestgehend überwunden. Eine Lust an der Zerstörung scheint ihn mindestens genauso intensiv anzuziehen. Die neunte Etüde zeigt das erschütternd deutlich. Düstere Sprünge skizzieren ein Inferno, das es locker mit einem der Gemälde von Arnold Böcklin aufnehmen kann. Auch die Nummer sieben erweitert das gruselige Bild um einige blass-grüne Pinselstriche.

Das ist so tragisch, das kann doch eigentlich gar nicht von einem jungen Mann kommen! Das ist neu. Für mich ist es ein wenig dekadent.
(Andrei Korobeinikov)

Das silberne Zeitalter

Ölgemälde von N. D. Kuznetsow aus dem Jahre 1893 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa In der russischen Kultur fällt Skrjabin in die Epoche des silbernen Zeitalters. Zu ihr zählt man die künstlerischen Enkel der Epoche des goldenen Zeitalters. Puschkin oder Tschaikowsky waren da die Hauptvertreter. Während die einen den goldenen, majestätischen Strahlen der Sonne entgegenstrebten, liebäugelten die Künstler des silbernen Zeitalters eher mit irisierenden Lichtreflexen und fragilen Strukturen. Sie orientierten sich mehr am fahlen, silbrig-kühlen und doch starken Licht des Mondes. Gut hörbar in der Etüde No. 5 aus Skrjabins op. 8.
Die vierte Etüde hingegen spielt mit Naturbildern - eine flatterhafte Melodie schmeichelt sich mit mehrstimmigen Quintolen und Triolen bei uns ein, zieht zitternd vor unseren Augen (…und Ohren!) muntere Kreise, wie ein Schmetterling, der mit der hübschen Zeichnung seiner Flügel kokettiert. Und ehe man die vielen Farben der Flügel benennen kann, ist das Insekt schon wieder davon geschwirrt. Hier und dort - in scheinbar unbeschwertem Wechselspiel.

Dasselbe gilt auch für die erste Etüde. Für Korobeinikov ist die erste Etüde "ebenfalls fliegend, sehr bildhaft, jeder kann sich etwas unter den Tönen vorstellen. Und dann das hier, es gehört dazu und ist doch ein bisschen anders, ein bisschen trauriger, vielleicht dramatischer. Ähnliche Verbindungen findet man bei der zweiten und der siebten Etüde."

Horowitz' Lieblingszugabe

Einen richtigen Reißer, der es längst unter die "Top Ten" der Konzertsaalhits geschafft hat, setzte Skrjabin an den Schluß. Etüde No. 12 in dis-Moll, Patetico. Sie war eine der Lieblingszugaben von Vladimir Horowitz. Mit prometheuischer Kraft schöpft Skrjabin hier aus den Tiefen der Töne, lässt sie wie Lavabrocken in Oktavsprüngen aufsteigen, um anschließend im Himmel zu verglühen. Doch damit nicht genug. Erneut reißt uns der Pianist im buchstäblichen Sinne mit in die Tiefe.
Diese Etüde ist ein Kraftpaket, der Muskelprotz im op. 8. Sie verlangt dem Pianisten viel Virtuosität ab, vor allem aber Energie. Doch diese gibt sie, gleichsam einem perpetuum mobile, auch wieder zurück! Ein weiteres Beispiel für das typisch antithetische Prinzip in Skrjabins Musik: Zerstörerisches neben Aufbauendem, Geben neben Nehmen!

"Er wusste einfach über manche Dinge genauer Bescheid, als wir normalen Menschen. Hatte etwas Hellseherisches. Ich merke das, wenn ich Stücke einstudiere. Meine Hände bewegen sich ordentlich, sie haben es ja gelernt, aber ich könnte in manchen Momenten nicht sagen, welche Noten da klingen. Die Harmonien sind so ungewöhnlich." (Andrei Korobeinikov)

Musik-Info:

Alexander Skrjabin: 12 Etüden für Klavier, op. 8

Andrei Korobeinikov, Klavier
Label: Mirare

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