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Charakterstück Poetische Momentaufnahmen

Es ist relativ kurz, an keine spezifische Form gebunden, oft für Klavier, immer aber rein instrumental, und es hat häufig einen poetischen oder bildhaften Titel - das Charakterstück.

'Des-habillé de Chambre' von Nicolas Bonnart | Bildquelle: Los Angeles County Museum of Art

Bildquelle: Los Angeles County Museum of Art

"Der fröhliche Landmann, von der Arbeit zurückkehrend" - ein Klavierstück von Robert Schumann. Es ist die musikalische Momentaufnahme einer Stimmung: "Endlich geschafft! Endlich Feierabend!" In dieser Stimmung ist der Landmann, und Schumann bringt sie musikalisch auf den Punkt: "Der fröhliche Landmann" ist ein Charakterstück - ein Genre, das in der Romantik seine Hochblüte erreichte und in Robert Schumann, dem deutschen Erzromantiker, einen seiner größten Meister fand. Die Anfänge aber reichen in die Alte Musik zurück.

Englische Virginalisten und französische Clavecinisten

"The King's Hunt" (Die Jagd des Königs) heißt ein berühmtes Stück aus dem um 1625 erschienenen "Fitzwilliam Virginal Book". Es ist ein tonmalerisches Charakterstück, komponiert von John Bull, einem der großen englischen Virginalisten des 16. Und 17. Jahrhunderts. Andere Vorläufer finden sich in Frankreich. Der Lautenist Denis Gaultier stilisierte Allemande und Pavane zu "Tombeaux", zu musikalischen Totenhuldigungen. Und die großen Clavecinisten des 17. und 18. Jahrhunderts Jean-Philippe Rameau und François Couperin schrieben je vier Bücher von "Pièces de Clavecin" die vielfach "charakteristische" Stücke sind - zum Beispiel "La Majestueuse" (Die Majestätische), "Les Sentiments" (Die Gefühle) oder "La Fleurie ou la tendre Nanette" (Die Blühende oder die zarte Nanette) von Couperin.

Poetisch, nicht programmatisch

Alle diese Stücke aus Frankreich stehen unter dem Einfluss der seinerzeit prägenden Nachahmungästhetik und Affektenlehre. Dabei hat das Charakterstück natürlich auch seine Vorläufer in der deutschen Musik - bei Carl Philipp Emanuel Bach oder bei einem gewissen Gottlieb Christian Füger aus Heilbronn, der 1784 zwölf "Charakteristische Clavierstücke" komponierte, die diverse Gemütslagen musikalisch beschreiben. Gerade an solchen Stücken offenbart sich der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Charakterstück und den Gattungen der Programm-Musik. Diese ist dynamisch, beschreibt Vorgänge und Handlungen, das Charakterstück ist statisch, zuständlich und poetisch; es beschreibt Stimmungen und Empfindungen

Höhepunkt und letzte Prägungen

Die große Zeit des Charakterstücks kommt im 19. Jahrhundert. Neben Schumann sind Chopin, Liszt und Edvard Grieg zentrale Vertreter. Letzte Prägungen bringt das 20. Jahrhundert mit Béla Bartók und den Impressionisten Debussy und Ravel. In der Fortsetzung dieser französischen Tradition steht Olivier Messiaen. Seine "Vingt Regards sur l'Enfant-Jésu" (Zwanzig Blicke auf das Jesuskind) sind eine Kollektion von kurzen Betrachtungen und Eindrücken. Im Streben nach der "Errichtung eines Klang-Universums" und dem Suchen nach einem "neuen Zeitgefühl" hatte Messiaen freilich die tradierten Grenzen des "alten" Charakterstücks längst überschritten.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 10. Februar 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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