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Der Codex Rossi Wichtige Quelle des 14. Jahrhunderts

Der Codex Rossi – ein Geheimtipp aus der italienischen Küche? Nein: Eine der wichtigsten Musikhandschriften, die uns aus dem 14. Jahrhundert erhalten sind! Trotzdem liegen Entstehung und Geschichte dieses Buches aber in mysteriösem Dunkel ...

Michelangelo, Sixtinische Kapelle | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Das Stichwort vom 2. September

Der Codex Rossi

Norditalien, 14. Jahrhundert. Ein dunkles Zeitalter. Erbfolgekriege brachten Tod und Verderben, marodierende Horden von Söldnern zogen durchs Land und immer wieder wütete die Pest. Doch all diesen Widrigkeiten zum Trotz blühte seinerzeit die Kunst in Norditalien – und die wichtigste und umfangreichste Quelle für die Musik dieser Periode ist der Codex Rossi. Dieses Manuskript entstand vermutlich um 1370 in Padua oder Verona und enthält Musik eines neuen Stils in Italien: des Trecento. Diese Musik ist rhythmisch und harmonisch relativ einfach, in Struktur und Melodie aber durchaus raffiniert, und eine Art Gegenbewegung zur hochkomplexen Ars Nova, dem seinerzeit in Frankreich vorherrschenden Musikstil. Im Codex Rossi finden sich insgesamt 37, größtenteils dreistimmige Kompositionen: eine Caccia, ein Rondello, fünf Ballate und 30 Madrigale.

Sprachlicher Anspruch

Alle Stücke drehen sich um die Liebe, wobei auch plastischere erotische Anspielungen nicht fehlen. Voraussetzung für diese Werke war, dass eine Gruppe von Autoren um den Dichter Dante Alighieri herum das Italienische um die Wende zum 14. Jahrhundert herum als eigenständige Literatursprache etabliert hatte, denn alle Lieder haben italienische Texte. Es handelt sich aber dennoch um Musik der höheren Stände – man denke etwa an die Gesellschaft aus Bocaccios Decamerone, die sich mit dieser Art von Liedern unterhalten haben dürfte. Komponisten sind im Codex Rossi nicht genannt, aber über Quellenvergleiche konnte man zumindest zwei identifizieren: Magister Piero und Giovanni da Firenze.

Bewährtes Repertoire

Vermutlich enthält der Codex Rossi das Repertoire einer Gruppe von Sängern und Komponisten, die sich zwischen etwa 1325 und 1355 rund um Alberto II. della Scala, Herrscher von Verona versammelt hatten. Interessanterweise waren die Stücke also schon relativ alt, als sie um 1370 im Codex festgehalten wurden – aber offenbar bewährt! Alberto, dessen Vater übrigens einer der wichigsten Mäzene Dantes gewesen war, lebte zeitweise in Padua, und so stehen denn auch viele der Lieder im paduanischen Dialekt.

Geheimnisvolle Geschichte

Benannt ist der Codex nach Giovan Francesco de Rossi, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Stapel Blätter des Codex aus unbekannter Quelle erwarb. Rossis Witwe schenkte die Handschrift später der Jesuitenbibliothek in Linz, von wo sie 1922 wiederum in die vatikanischen Bibliotheken gelangte. 1963 entdeckte der Musikwissenschaftler Oscar Mischiati zwei weitere Blätter des Codex in einer Bibliothek in Ostiglia bei Mantua. Auch hier hat man keine Ahnung, wo sich die Seiten früher befanden, oder wie sie nach Ostiglia kamen. Aber das wichtigste über den Codex Rossi wissen wir: Dass wir nur dank dieser – äußerlich nicht einmal sonderlich aufsehenerregenden – Handschrift einige der schönsten Werke des 14. Jahrhunderts kennen!

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 2. September 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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