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Ductia Leichtes und schnelles Tanzlied

Tanz im Garten / französische Buchmalerei, Meister von Jouvenel, um 1460 | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Stichwort | 17.11.2019

Ductia

Die Ductia ist eine mittelalterliche Lexikonleiche. Der Begriff taucht nämlich: 1. in nur einem einzigen Traktat auf. Und es ist 2.: keine einzige praktische Quelle bekannt, die Ductia als Titel für ein Musikstück auch tatsächlich verwendet. Eigentlich ist Ductia also ein Wort für eine Sache, die es gar nicht gibt. Ganz so einfach ist aber dann doch nicht. Ductia mag ein Wort sein für eine Sache, die es nicht gibt, aber wohl einmal gegeben hat. 

GROCHEOS TÄNZCHEN

Aber von Anfang an: Um 1300 beschreibt der Musikgelehrte Johannes de Grocheo in seinem Traktat "ars musicae" die verschiedenen Arten von Musik. So detailliert wie kein anderer geht er dabei auf die weltliche Musik ein, die er als musica vulgaris bezeichnet. Ebendieses Kapitel führt neben der Estampie, dem Rondellus und der Nota einen Tanz auf, der außer bei Grocheo nirgends überliefert wird: die Ductia.

Die Ductia ist ein leichtes und schnelles Tanzlied, levis et velox, heißt es bei Grocheo. Auf- und absteigende Bewegungen kennzeichnen ihren Charakter und sie wird von Mädchen und Jungen im Chor gesungen. Und das ist auch gut so, denn wenn die jungen Leute zusammen singen, dann kommen sie schon nicht auf andere, womöglich dumme Gedanken, so die Schlussfolgerung Grocheos. In diesem Zusammenhang leitet er auch die Etymologie her, von lat. ducere - führen. Die Ductia führe die Herzen, lenke von eitlen Gedanken ab und wirke der Leidenschaft entgegen.  

ÄHNLICHKEIT ZUR ESTAMPIE

Eine refrainartige Struktur mit jeweils zwei Halbstrophen ist Grocheo zufolge für die Ductia typisch. Dabei sei sie lebhafter und zugleich einfacher gebaut als ihre Schwestergattung, die Estampie. In der freien Wildbahn sei sie sowohl vokal als auch instrumental anzutreffen. Und genau da liegt das Problem: In freier Wildbahn, also in den Musikhandschriften der Zeit ist der Begriff Ductia nicht überliefert. Andererseits gibt es aber durchaus Musikstücke, die zwar nicht als Ductia bezeichnet sind, aber genau auf Grocheos Definition passen. Und hier beginnt nun das musikhistorische Puzzle. Wer nach passenden Stücken zu Grocheos Beschreibung der Ductia sucht, wird z.B. im sogenannten Chansonnier du Roi, einer Musikhandschrift aus dem 13. Jahrhundert fündig. Die drei fraglichen Stücke stehen bei den dort ebenfalls überlieferten Estampien. Eines ist namenlos, die anderen beiden einfach als Danse und Danse real, also als Tanz bzw. königlicher Tanz bezeichnet. Ob Grocheo diese Stücke mit seiner Definition der Ductia gemeint hat, wird wohl ein Geheimnis bleiben.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 17. November 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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