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Estampie Mittelalterliches Tanzlied

Man könnte die Estampie auch in der deutschen Übersetzung "Stampftanz" nennen, aber auf Französisch klingt es natürlich schöner. Sie erzählt von Tanz und Kunst im Mittelalter – Geschichten einer sehr fernen Zeit.

Schäfertanz | Bildquelle: © Cleveland Museum of Art

Bildquelle: © Cleveland Museum of Art

"Kalendas maias" - so beginnt die wohl berühmteste Estampie. Sie stammt aus dem frühen 13. Jahrhundert. Das Charakteristische der Estampie oder Estampida oder Istanpitta ist ihr unregelmäßiger Bau. Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts pflegten die Troubadours und Trouvères diese höfische Gattung, die sich von Südfrankreich aus über Italien nach ganz Europa verbreitete. Zeitgenössische Quellen beschreiben die Estampie zumeist als instrumentales Musikstück ohne Gesang. So ist etwa in Giovanni Boccaccios "Il Decamerone" zu lesen, wie eine liebeskranke Dame mit Musik getröstet wird:

"Minuzzo aber war zu damaliger Zeit für einen sehr feinen Sänger und Spieler gehalten. Nachdem er ihr mit liebevollen Worten zugeredet hatte, stimmte er auf seiner Fidel eine Estampie auf sehr süße Weise an, worauf er alsdann eine Canzone sang."

GESTAMPFT, GETRAGEN

Der Name Estampie leitet sich vermutlich vom gotischen stampjan ab, und so weisen viele gestampfte Tänze einen getragenen Charakter auf, etwa die Estampie "La Manfredina".

Doch gibt es ebenso viele Beispiele von raschen, fröhlichen Stampite. Neben dem für die mittelalterliche Tanzmusik typischen Wechsel zwischen Halb- und Ganz-Schluss am Ende der Melodie weist eine Estampie unterschiedlich lange melodische Phrasen auf. Dadurch ergibt sich ein eher prosaischer Charakter, der durch die damals gängige Praxis unterstrichen wird, die Melodien mit ausschweifenden Improvisationen zu umspielen.

UNTÄNZERISCHER TANZ

Also ein Tanz ohne tänzerischen Charakter. Eine instrumentale Gattung, die jedoch häufig mit Gesang aufgeführt wurde. Die Estampie scheint sich schwer in unsere gängigen Kategorien einzuordnen. Doch für das künstlerische Empfinden des Mittelalters waren diese Widersprüche eher der Beweis für einen hohen Stellenwert. Daher lobt der Musikgeschichtsschreiber Johannes de Grocheo:

"Die Stampie ist eine musikalische, wortlose Komposition mit einer komplizierten melodischen Entfaltung. Aufgrund ihrer Schwierigkeit nimmt sie vollends den Geist des Spielers wie des Zuhörers ein und bringt die Reichen oft von bösen Gedanken ab."

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 19. Februar 2012, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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