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Finalis Harmonischer Dauerbrenner

Dass der Begriff Finalis irgendwas mit Schluss zu tun hat, ist offensichtlich – aber dass die Finalis in ihren verschiedenen Erscheinungsformen schon seit gut anderthalb Jahrtausenden dafür zuständig ist, das weiß nun wahrlich nicht jeder! Das Stichwort klärt auf.

 “Ein feste Burg ist unser Gott”.– Eigenhändige Niederschrift von Johann Walter | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Stichwort | 09.06.2019

Finalis

Kennen Sie das: Sie hören ein Musikstück - oder einen Teil eines Stücks - freuen sich an den schönen Klängen und leben sich so richtig hinein - und dann kommt der Schluss - und Sie sind irgendwie nicht richtig zufrieden? Dann liegt das normalerweise daran, dass die Musik nicht - oder noch nicht - auf der Tonika angekommen ist. Denn in der abendländischen Musik seit etwa dem 16. Jahrhundert gab es zwar diverse stilistische Richtungen und Epochen, aber eines war doch allen - oder zumindest allen tonalen - Musikstilen gemeinsam: Dass ein Stück im Normalfall auf der Tonika endet, dem Grundton der Tonart. In C-Dur also zum Beispiel auf einem C. Und wenn die Schlusswirkung so richtig überzeugend sein soll, muss vorher noch die sogenannte Dominante stehen, die fünfte Stufe der jeweiligen Tonart. Das ist dann gleich viel befriedigender.

Aber, wie gesagt: Diese feste Abfolge ist erst seit dem 16. Jahrhundert, seit Einführung des modernen Dur-Moll-Systems gebräuchlich. Vorher sah die Sache noch etwas anders aus - und deshalb klingt unseren modernen Ohren die frühere Musik oft ein wenig fremd. Im Zeitalter des gregorianischen Chorals, wie die einstimmige Kirchenmusik des Mittelalters genannt wird, arbeiteten die Komponisten und Musiker nämlich noch nicht mit Dur und Moll, sondern mit den Kirchentonarten, oder Modi. Aber die Tonika war auch schon von Bedeutung, nur hieß sie noch nicht Tonika, sondern Finalis.

Authentisch und plagal

Die Finalis hatte seinerzeit im Grunde eine noch wichtigere Rolle als die moderne Tonika, denn so eine Kirchentonart definierte sich vor allem über diesen Schlusston und eventuell noch bestimmte, für die jeweilige Tonart typische Schlusswendungen; nicht so sehr über die Anordnung der Ganz- und Halbtöne in einer Tonleiter, wie im modernen Dur-Moll. Zu unterscheiden sind dabei die sogenannten authentischen Modi, die normalerweise auch mit der Finalis beginnen und deren Melodie sich über derselbigen bewegt. Bei den plagalen Melodien liegt die Finalis dagegen in der Mitte: Die Melodie umkreist diesen Grundton sozusagen, bevor sie schließlich auf ihm endet.

Dauerbrenner!

Auch die Musik der Renaissance übrigens verwendete noch die Kirchentonarten, in polyphoner Mehrstimmigkeit. Und auch in dieser Zeit mit ihrem so elaborierten kontrapunktischen Regelwerk legt die Finalis letztendlich die Tonart fest, und fast jedes Werk endet auf dieser Finalis. So kann man wohl mit Recht sagen: Wenn es ein Element in der Musik gibt, das über schätzungsweise anderthalb Jahrtausende hinweg immer bedeutsam war, dann ist es die Finalis. Oder der Grundton. Oder die Tonika, oder wie immer man diesen Ton nennt und über die Jahrhunderte hinweg nannte. Wahrlich ein harmonischer Dauerbrenner!

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 9. Juni 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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