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Kontrafaktur Aus alt mach neu

Aus alt mach neu. Die Praxis der Kontrafaktur stellt Musik in neue Zusammenhänge und spart dem Komponisten Zeit.

Scan des Liedes aus dem Evangelischen Gesangbuch für Rheinland und Westfalen, hrsg. von der Rheinischen und Westfälischen Synode, mit dem vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss 1915 beschlossenen Stammteil (Lieder 1-342), gedruckt von Verlag W. Crüwell und in Dortmund 1929 erschienen. | Bildquelle: Rheinische und Westfälische Synode

Bildquelle: Rheinische und Westfälische Synode

Das Stichwort vom 6. August 2017

Kontrafaktur

Schon in der Antike und im Mittelalter finden sich Beispiele für die Praxis, bestehende Gesänge mit neuem Text zu versehen. In der Tradition der französischen Trouvères oder der deutschen Minnesänger wurden oft nur die Texte überliefert mit dem Hinweis, dass sie mit einer bestimmten, weithin bekannten Melodie zu singen sind.

Viele Kontrafakturen, also Neutextierungen von bestehenden Liedern, entstanden während der Reformationszeit. An der Musik von älteren Komponisten wie beispielsweise Josquin de Pres, hatten die Reformatoren nichts auszusetzen. Lediglich die lateinischen Texte und die darin thematisierte Heiligen- und Marienverehrung war problematisch. Dagegen sah Luther selbst in der der deutschen Neutextierung ein probates Mittel.

Darum wir solche abgöttische, todte und tolle Texte entkleidet und innen die schöne Musica abgestrifft, und dem lebendigen heiligen Gottes wort angezogen.
Martin Luther

In der Reformationszeit wurde die Praxis der Kontrafaktur von den verschiedenen konfessionellen Lagern für die eigenen Zwecke genutzt: Die Reformatoren um Martin Luther beispielsweise verwendeten auch weltliche Gesänge für den Aufbau eines Repertoirtes deutscher Kirchenlieder. Es entstanden auch polemische Lieder mit Luther- oder Papstfeindlichen Texten, die auf bereits bekannte Melodien gesungen wurde. So blieb der neue Text besser im Gedächtnis. Auch in späterer Zeit entstanden noch Kontrafakturen; schwimmend verlaufen die Grenzen zum Parodieverfahren. Dieses meint weniger die reine Umtextierung als vielmehr auch eine musikalische Neueinrichtung.

Die berühmte h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach z.B. beruht in weiten Teilen auf älteren Kompositionen des Komponisten. Das "Crucifixus" zum Beispiel war in anderer Tonart, Besetzung und Satzstruktur bereits Bestandteil der Kantate "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen". Weil das musikalische Recyling hier über eine bloße Neutextierung hinausgeht, ist der Begriff der Parodie angebracht. Für den Komponisten selbst war das eine praktische Sache: Er konnte seine Musik, die sonst womöglich nur ein einziges Mal aufgeführt worden wäre, wiederverwenden. Dass die Nachwelt ihn ohnehin zu einem der meistgespielten Komponisten seiner Zeit machen würde, das konnte Bach ja noch nicht ahnen.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 6. August 2017, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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