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Pardessus de viole Nesthäkchen der Gambenfamilie

Der Pardessus de viole ist klein und ein Spätgeborener: Erst knapp 200 Jahre nach seinen älteren Geschwistern erblickte er das Licht der Welt – und dann blieb er auch nicht lange. Dennoch spielte er eine nicht unbedeutende Rolle im Musikleben des 18. Jahrhunderts, vor allem für die Damenwelt...

Pardessus de viole um 1700 | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Stichwort | 29.05.2021

Pardessus de Viole

Er war das Nesthäkchen, und blieb denn auch immer der kleinste in der Familie der Gamben: Der Pardessus de viole. Zu Deutsch: Noch über dem Dessus - dem bis dahin kleinsten Gambeninstrument. Der früheste erhaltene Pardessus wurde etwa 1690 in Paris von Michel Collichon gebaut, fast 200 Jahre nach seinen größeren Geschwistern. Damals, während der Regierung Ludwigs XIV., in einer Blütezeit der Gambenmusik vor allem in Frankreich, wollte man den Tonumfang der Gamben erweitern, und das war auf der Diskantgambe - französisch: Dessus de Viole - mühsam: Musste man da doch mit der linken Hand auf dem Instrumentenhals sehr weit herumrutschen, um die hohen Töne auf der höchsten, der D-Saite zu spielen. Auf dem damals gewöhnlich sechssaitigen Pardessus ist die höchste Saite deshalb eine Quarte höher auf G gestimmt. Das macht die Sache leichter.

Damenwahl

Welche Rolle das Instrument in seinen ersten 20 Lebensjahren im Musikleben spielte, ist unklar, denn damals gab es noch kaum eigene Literatur dafür. Auffällig ist jedoch, dass der Pardessus vor allem in Frankreich auftauchte. So kann man vermuten, dass die bessere Gesellschaft Frankreichs auf dem Pardessus die hauptsächlich aus Italien importierte Musik für Violine spielte. Den Franzosen nämlich galt die Geige seinerzeit als Bauerninstrument und ein französisches Edelfräulein, das auf sich hielt, hätte sie nie in die Hand genommen.

Michel Corrette, dem wir die einzige uns überlieferte Pardessus-Schule verdanken, schrieb darin denn auch ganz dezidiert:

"Damen sollten den fünfsaitigen Pardessus de viole spielen und niemals die Violine, da die Haltung beim Spiele der Geige ihnen nicht wohl zu Gesichte steht, ihre Hände zu klein sind, um sie zu halten und sie daneben Mühe haben, die hohen Lagen zu erreichen, was auf dem Quinton und dem fünfsaitigen Pardessus de Viole ohne Schwierigkeiten möglich ist."

Und natürlich: Die Hautmale, die bei Geigern am Hals entstehen, wo das Instrument anliegt, hätten die Damen der adligen Gesellschaft als entstellend empfunden; des weiteren war die Haltung der Violine an der Schulter riskant für ihre kunstvollen Frisuren.  Entsprechend galt der Pardessus gegen Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich als "Violine der Frauen", und auch der wichtigste Virtuose auf dem Instrument war eine Virtuosin: Eine gewisse Mademoiselle Levi, die um 1745 auch öffentlich konzertierte.

Vielfalt in Form und Literatur

Erst in den 1720er Jahren gab es eigene Literatur für den Pardessus, der bald auch als fünfsaitiges Instrument gebaut wurde; genannt Quinton. Über 250 Bände mit Werken für das Instrument wurden in den folgenden 50 Jahren vor allem in Frankreich veröffentlicht, von Komponisten wie Charles Dollé, Boismoitier, Barthélèmy de Caix, Pierre Hugard, doch sind viele französische Werke der folgenden Jahrzehnte auch wahlweise für Geige oder Pardessus komponiert. Ab etwa 1760 schließlich werden auch viersaitige Pardessus erwähnt - bei denen es sich möglicherweise aber einfach um in Gambenhaltung gespielte Geigen handelte. Dafür spräche auch, dass kein viersaitiger Pardessus erhalten ist.

Opfer der Französischen Revolution

Mit wachsender Ähnlichkeit zurr Geige machte sich das Instrument gegen Ende des 18. Jahrhunderts allerdings selbst überflüssig, und mit dem Niedergang des französischen Adels verschwand es ohnehin von der Bildfläche. Auch der Pardessus ist also gewissermaßen ein Opfer der französischen Revolution...

Sendungsthema aus "Forum Alte Musik" vom 29. Mai 2020, 22.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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