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Querstand Verbotene Frucht der Harmonielehre

Ein Querstand - das klingt erst einmal nach einem Terminus aus der Automobilindustrie. Aber weit gefehlt: Es geht dabei um eine bestimmte Tonfolge, die in der Harmonielehre seit dem Mittelalter verboten war. Und dadurch natürlich umso reizvoller...

Notenblatt von Mozart | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Das Stichwort vom 21. Juli 2019

Querstand

Als Querstand, oder falsche Relation, bezeichnet man in der Harmonielehre die Situation, dass auf einen bestimmten Ton in einer Stimme in einer anderen Stimme derselbe Ton folgt, aber um einen Halbton erhöht oder erniedrigt. Wie in dem Notenbeispiel, das wir hier gerade sehen: Der Anfang des Madrigals Dolcissima mia vita von Carlo Gesualdo - ein Komponist übrigens, der den Querstand geradezu zum Hauptmerkmal seiner Musik erkor. Schauen wir uns da nun den Übergang vom dritten zum vierten Akkord des Stücks an:

Madrigal Dolcissima mia vita von Carlo Gesualdo | Bildquelle: gemeinfrei Bildquelle: gemeinfrei Die oberste Stimme springt hier nämlich von oben in einen Ton, den vorher die zweite Stimme gesungen hat - allerdings erniedrigt. Also die zweite Stimme singt dreimal b und springt dann nach unten aufs g, während die oberste Stimme, von oben kommend, den Halbton über dem b, das h ansteuert.

Das Teufelsintervall

Bis in die frühe Barockzeit galt übrigens auch die Tonfolge des sogenannten Tritonus als Querstand, oder auch falsche Relation. Das ist das Intervall, das aus drei Ganztönen besteht, also beispielsweise c-fis, das wegen seines relativ unharmonischen, schrägen Klangs zeitweise gar als das Teufelsintervall bezeichnet wurde! Und mag so ein Querstand für unsere heutigen Ohren - abgestumpft von der modernen Unterhaltungsmusik - nun auch vielleicht ein wenig eigen, aber doch nicht gerade skandalträchtig klingen, galt er doch seriösen Komponisten seit dem Mittelalter bis noch ins 19. Jahrhundert als klarer Satzfehler und war strikt verboten. So schreibt Johann Gottfried Walther in seinem Musicalischen Lexicon von 1732:

"Unter den falschen Relationen giebt es nicht nur erträgliche und vortreffliche, sondern auch unerträgliche und vitiöse".

Wenn überhaupt durften Querstände nur als besonderes Stilmittel eingesetzt werden - was die Entscheidung, welche Querstände nun die wirklich "vitiösen" seien, allerdings nicht gerade erleichterte, wie auch Walther feststellt:

"Welche aber von der letzten Gattung eigentlich seyn mögen, ist jetzo schwer zu decidiren, weil die Actores so wohl als der goût der Zuhörer hierinnen nicht einig sind, daß man demnach mit jenem Frantzosen wohl sagen mag: Wer will, oder vielmehr kan, vermeide die falschen Relationes".

Die verbotenen Früchte...

Aber wie das so ist: Die verbotenen Früchte sind immer die interessantesten - und so hielten die kontrapunktischen Regeln der Zeit auch nur die brävsten Harmonielehre-Schüler und die langweiligsten Komponisten davon ab, sich der diversen Querstände reichlich zu bedienen. Und so muss dann auch Johann Walther in seinem Lexikon zugeben:

"Sich unterstehen wollen eine wohlausgearbeitete Composition zu machen, und etwas besonders oder künstliches darinnen anzubringen, ohne falsche Relationes, ist eine falsche Einbildung".

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 21. Juli 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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