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Steinzeit Wiege von Musik und Kultur

Wie klang die Steinzeit? Antworten versuchen Musikarchäologen Knöchelchen mit Löchern oder Kerben zu entlocken. Die früheste Epoche der Menschheitsgeschichte, in der unsere Vorfahren erste Zeugnisse von Musikausübung hinterlassen.

Archäologe Adje Both | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

"Die Musikausübung ist wahrscheinlich doch eher hochgradig tabuisiert und ritualisiert gewesen", sagt der Musikarchäologe Arnd Adje Both über die Rolle, die Musik im Leben der Steinzeitmenschen gespielt haben könnte. "Es ging eben nicht nur darum, sich zu vergnügen, sondern zum Beispiel Kontakt mit den Ahnen oder mit Tiergeistern aufzunehmen, um etwa den Fortbestand der Gemeinschaft zu gewährleisten oder um zum Beispiel Jagdglück herbeizurufen."

ERSTE TÖNE

Anatomisch gesehen entwickelten sich die Voraussetzungen für differenzierten Gesang mit dem aufrechten Gang des Menschen. Der Kehlkopf rutschte nach unten und parallel dazu vergrößerte sich vor etwa zwei Millionen Jahren der Resonanzraum der Mundhöhle. Nachweise von geräuscherzeugenden Instrumenten sind hingegen wesentlich jünger: Zu den ältesten Funden gehören sogenannte Schwirrhölzer, die auch heute noch in einigen traditionellen Musikkulturen verwendet werden: Die länglichen, dünnen Platten laufen an beiden Enden spitz zu. Mit einer Schnur durch die Luft gewirbelt, erzeugen sie einen schwirrenden Ton.

"Sie werden sehr häufig in den eher tieferen Teilen von Höhlen gefunden", erläutert Arnd Adje Both, "dort, wo eben auch die Höhlenmalereien zu finden sind und dort, wo die Menschen auf gar keinen Fall gewohnt haben. Die tieferen Bereiche der Höhlen sind wahrscheinlich auch eher zu rituellen Zwecken, sei es Jagdzauber, Fruchtbarkeitsriten oder Initiationsriten genutzt worden."

KULTURELLE ERUPTION

Vor rund 40.000 Jahren besiedelte der moderne Mensch, der Homo sapiens, Europa. Zeitgleich scheint sich eine Art kultureller Sprung vollzogen zu haben, wie Arnd Adje Both anhand der archäologischen Funde vermutet:

In diesem Moment haben wir eine Eruption an Kunst, wir haben plötzlich figurative Kunst, wir haben nicht wesentlich später Höhlenmalerei. Und wir haben quasi gleichzeitig auch die ersten Musikinstrumente wie diese Knochenflöten, die plötzlich da sind, mit mehreren Grifflöchern, und wunderschöne Melodien produzieren.

IDEE VON MUSIK

Die Interpretation der archäologischen Befunde ist ohne weitere Zeugnisse oft schwierig. Grundsätzliche Fragen müssen offen bleiben, so der Musikarchäologe Arnd Adje Both:

Das ist das große Problem, wenn wir über Musik der Steinzeit sprechen: Haben die Menschen damals überhaupt ein Verständnis oder so eine Idee von Musik gehabt, wie wir das heute haben? Das ist wahrscheinlich eher nicht der Fall gewesen. Wie der Homo sapiens das wahrgenommen hat, das ist wirklich eine große Frage. In der Forschung sagen wir: Musik ist alles, was in einer strukturierten Form produzierte Klänge umfasst und was irgendwie in ein menschliches kulturelles Gefüge eingebunden ist. Musik wird ja immer in einem Rahmen, in einem Raum produziert. Sie hat immer einen Zweck, sei es, um Kontakt mit den Göttern aufzunehmen oder den Dämonen oder den Tiergeistern, oder sei es, um sich zu erholen, um Freude zu haben und miteinander zu feiern.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 13. Februar 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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