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Thomas Hengelbrock Musikalische Exkursionen, historisch informiert

Er ist ein Musiker der pluralistischen Musikkultur unserer Zeit – weltoffen, unverkrampft, vielseitig: der deutsche Geiger, Dirigent und Ensembleleiter Thomas Hengelbrock, geboren am 9. Juni 1958 in Wilhelmshaven.

Dirigent Thomas Hengelbrock | Bildquelle: © Florence Grandidier

Bildquelle: © Florence Grandidier

Das Stichwort vom 14. Juli 2019

Thomas Hengelbrock

Hengelbrock ist ein Spezialist der Historischen Aufführungspraxis, vertraut mit dem Musizieren auf alten Instrumenten. Zugleich ist er aber auch ein Dirigent, der mit Orchestern arbeitet, die auf modernem Instrumentarium spielen, und der dabei die beiden früher strikt getrennten Sphären verbindet: "Insgesamt hat sich", so der Musiker, "in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sehr viel getan. Die Bereitschaft ist eine ganz andere geworden, gerade in der Musik des 18. Jahrhunderts wirklich andere Wege zu gehen, und ich glaube, der enorme Einfluss von vielen großen Künstlerpersönlichkeiten, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, der ist jetzt überall spürbar … Ich zumindest bin ein Dirigent, der versucht, mit musikalischen Argumenten zu überzeugen, den Leuten die Musik auch klar zu erklären, wie sie gebaut ist, wie die harmonische und syntaktische Struktur eines Stückes ist."

Alt und Neu - die Seiten ein- und derselben Medaille

Schon früh setzte sich Thomas Hengelbrock gleichermaßen mit der Alten und mit der Neuen Musik auseinander. Sie wurden für ihn gewissermaßen zu den beiden Seiten ein- und derselben Medaille. Nach seinem Violinstudium bei Rainer Kussmaul war er Assistent von Antal Doráti, Witold Lutosławski und Mauricio Kagel. Als Geiger spielte er in Nikolaus Harnoncourts Concentus Musicus, 1985 gehörte er zu den Mitbegründern des Freiburger Barockorchesters, dem er als Geiger und Dirigent über Jahre verbunden blieb. 1991 gründete er den Balthasar-Neumann-Chor und 1995 das instrumentale Balthasar-Neumann-Ensemble. Ungewöhnliche Programmkonzeptionen mit Musik vom 17. Jahrhundert bis zur zeitgenössischen Musik charakterisieren die Konzertdramaturgie, ein undogmatischer Ansatz prägt das historisch informierte Musizieren: "Gemeinhin haben wir ein viel zu enges Bild von dem, was in der Barockmusik beispielsweise erlaubt ist, in Anführungszeichen. Und ich glaube, dass die ganze Aufführungspraxis auch deshalb so schwer in Verruf gekommen ist, weil vor vielen Jahren einige Apologeten dieser Bewegung mit großen Verbotsschildern durch die Gegend gerannt sind. Sie haben gesagt: Ihr dürft nicht vibrieren! Ihr dürft das nicht, ihr dürft dieses nicht, ihr dürft keine großen Linien spielen, ihr müsst alles Klein-Klein phrasieren! Das sind alles Dinge, die zwar ab und zu in irgendwelchen Traktaten auftauchen, die sich aber irgendwie nicht stimmig in ein Gesamtbild, wie ich es mir erworben habe, einfügen wollen."

"Parsifal" im Klangbild der Entstehungszeit

Thomas Hengelbrock. Maßgeblich hat er dazu beigetragen, das Epoche übergreifende Musizieren nach Maßgabe der Historischen Aufführungspraxis in Deutschland zu etablieren. Spektakuläre Projekte waren Verdis Opern "Rigoletto" und "Falstaff" auf historischen Instrumenten 2003 und 2007 in Baden-Baden sowie 2013 in Dortmund der "Parsifal" im Klangbild der Entstehungszeit. Das Debüt mit "Tannhäuser" bei den Bayreuther Festspielen 2011 brachte keinen ungeteilten Erfolg. Nach seiner Tätigkeit als Künstlerischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, als Musikdirektor der Wiener Volksoper und einer wechselvollen Zeit als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters ist Thomas Hengelbrock derzeit Chef associé des Orchestre de Paris. Daneben leitet er nach wie vor sein Balthasar-Neumann-Ensemble und führt es auf musikalische Exkursionen durch das Alt-Bekannte wie das Neu-Entdeckte: "Das vermeintlich Vertraute gewinnt natürlich durch die intensive Beschäftigung mit dem Unvertrauten, also sprich: sozusagen mit seinem durch die genaue Beleuchtung dieses Gegenstandes in seinem historischen Kontext eine ganz andere Dimension. Also, ich glaube schon, dass es mir, jedenfalls für mich selber, immer wieder gelingt, so scheinbar Vertrautes ganz neu zu beleuchten, Und das schlägt sich auch in meinen Interpretationen nieder."

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 14. Juli 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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