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Zum 100. Geburtstag des Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli Das scheue Genie

"Noch kräftiger und jünger als Artur Rubinstein, noch nobler und stilsicherer als Claudio Arrau, noch rhythmischer und intelligenter als Friedrich Gulda und gewiss technisch so perfekt wie Vladimir Horowitz" – so hymnisch urteilte Joachim Kaiser über Arturo Benedetti Michelangeli anlässlich eines der raren Konzerte, das der Pianist bei den Salzburger Festspielen 1965 gab. Und obwohl diese Kritik nur eine Momentaufnahme ist, hat sie bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Am 5. Januar wäre Benedetti Michelangeli 100 Jahre alt geworden.

Der Pianist Arturo Benedetti Michelangeli | Bildquelle: picture-alliance / Leemage

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Dass Musik aus der Stille kommt – dies hat kein Pianist so anschaulich verkörpert wie er: Arturo Benedetti Michelangeli. Niemand sonst strahlte am Klavier eine so noble Ruhe aus wie der Italiener: der aufrechte Sitz, die strenge Miene, nur ab und an belebt durch das Zucken der Augenbrauen, das Beben der Mundwinkel. Als wäre er peinlich darauf bedacht, ja nichts zu verschwenden; all seine Expressivität in die Fingerkuppen fließen zu lassen. Und in den Klang. Ökonomisch, könnte man das nennen. Treffender wäre: magisch. Denn so streng und nüchtern sein Spiel aussah, so farbig, federleicht, phantasievoll hörte es sich an.

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Claude Debussy - Images I & II (Michelangeli) | Bildquelle: Reveriemusic (via YouTube)

Claude Debussy - Images I & II (Michelangeli)

Was er am Flügel hört, kann ich nicht hören!
 Sergiu Celibidache über Arturo Benedetti Michelangeli

Tourneen mit eigenem Flügel

"Man erzählt, dass Michelangeli so viel absagt. So lange ich lebe, habe ich nie von einer Absage gehört, wo er nicht Recht hatte. Er ist von einer Empfindsamkeit … Ich habe ein sehr gutes Gehör, aber das, was er am Flügel hört, kann ich nicht hören!"  Und das sagte kein Geringerer als der legendäre Dirigent Sergiu Celibidache. Keine Klangphantasie ohne Klangbewusstsein. Je größer das eine, desto größer auch das andere. Und so ist es kaum verwunderlich, dass Michelangeli extrem heikel war, wenn es um sein Instrument ging. Konzertabsagen waren bei ihm keine Seltenheit –auch noch, als er mit eigenem Flügel und eigenem Klavierstimmer tourte. "Von Oistrach verlangt auch niemand, dass er auf der Geige von Isaac Stern spielt", sagte Michelangeli. Wer wollte dem widersprechen? Geschadet hat es ihm auf jeden Fall nicht – im Gegenteil: Seine Mimosenhaftigkeit hat den Mythos des scheuen Genies nur weiter befeuert: "Er ist" so schrieb das TIME-Magazine nach einer geplatzten US-Tournee des Pianisten "wie ein großer Fisch, den man manchmal zu Gesicht bekommt, aber nie an die Angel."

Die Geige als erste Liebe

Es ist schon paradox, dass Michelangeli, der vielleicht größte pianistische "Fisch" seiner Zeit, mit dem Klavier ursprünglich gar nichts zu tun haben wollte. Im Gegenteil: Die Geige war eigentlich das Instrument seiner Wahl. Erst einer Krankheit wegen musste er an die ungeliebten Tasten wechseln. Trotz früher Erfolge blieb er auf skeptischer Distanz zu diesem Instrument, versuchte ihm zeitweilig sogar im Ferrari zu entfliehen, mit 300 Stundenkilometern auf der Rennstrecke. Und kehrte dann doch wieder zurück zum Klavier, um die Prophezeiung von Alfred Cortot wahr zu machen, der sich 1939, der neunzehnjährige Michelangeli hatte gerade den Genfer Musikwettbewerb gewonnen, zu der Behauptung hinreißen ließ: "Ein neuer Liszt ist geboren."

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Arturo Benedetti Michelangeli - Ravel Piano Concerto -  www.arsdei.org/festival | Bildquelle: Salotti Ars Dei (via YouTube)

Arturo Benedetti Michelangeli - Ravel Piano Concerto - www.arsdei.org/festival

Von Scarlatti bis Ravel

Ob das stimmt? Zumindest näherte sich Michelangeli im Alter frisurentechnisch seinem Alter Ego an, mit streng zurückgekämmtem schulterlangen Haar. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Ein pianistischer Showman und Tausendsassa war Michelangeli nämlich nie. Sondern skrupulöser Perfektionist, der sein begrenztes Repertoire unermüdlich weiter verfeinerte: Scarlatti, Beethoven, Schubert, Ravel, Debussy und – ja, auch Chopin, dessen legere Melodienseligkeit auf den ersten Blick gar nicht zu Michelangelis unbedingtem, streng diszipliniertem Spiel zu passen scheint. Und doch: So fein, so melancholisch und unsentimental, so stolz und gleichzeitig bescheiden hat wohl niemand sonst Chopins letzte Mazurka gespielt.

Sendung: "Piazza" am 4. Januar 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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