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19. Juli 1812 - Beethoven und Goethe treffen sich Menschlich enttäuschend

Knapp 100 Kilometer nordwestlich von Prag liegt das kleine Städtchen Teplitz. Es ist das älteste Heilbad Böhmens und war im 19. Jahrhundert ein mondäner Kurort mit großen Trinkhallen, Kolonnaden zum Flanieren, Souvenirläden, teuren Hotels und gepflasterten Straßen. Im Sommer traf man dort jeden, der Rang und Namen hatte: den König von Sachsen, das österreichische Kaiserpaar und andere Hochadelige. Im Juli 1812 fieberte dort Beethoven der Ankunft Johann Wolfgang von Goethes entgegen, gemeinsam verabredeten sie sich zu einem Spaziergang.

Beethoven und Goethe treffen sich in Teplitz, 1812 | Bildquelle: picture alliance / akg

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"Seht doch, mein lieber Beethoven. Dort kommt uns die Kaiserin mit ihrem Gefolge entgegen. Lasst uns beiseitetreten." – "Bleibt nur in meinem Arm hängen. Sie müssen uns Platz machen. Wir nicht!" Goethe war nicht der Meinung und ihm wurde die Sache unangenehm. Er machte sich aus Beethovens Arm los und stellte sich mit abgezogenem Hut an die Seite, während Beethoven mit unterschlagenen Armen mitten zwischen den Herzogen durchging.

Klassik-Titanen unter sich

Wenn man der Dichterin Bettina Brentano Glauben schenken mag, dann ist es in Teplitz zu einem solchen Zwischenfall gekommen. Möglicherweise ist die Geschichte nur gut erfunden, aber sie trifft den Kern. Denn das lang ersehnte Treffen der beiden Klassik-Titanen, die sich künstlerisch so schätzen, wird menschlich zur Enttäuschung. Der vornehme Geheimrat Goethe ist entsetzt vom flegelhaften Benehmen Beethovens, der sich nicht um gesellschaftliche Umgangsformen schert.

Goethe behagt die Hofluft zu sehr, mehr als es einem Dichter ziemt.
Beethoven über Goethe

"Zusammengefasster, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen", schreibt Goethe am Abend des 19. Juli 1812 an seine Frau. "Ich begreife recht gut, wie er gegen die Welt wunderlich stehen muss." Beethoven hingegen äußert sich abfällig über Goethes hofmännisches Wesen: "Goethe behagt die Hofluft zu sehr, mehr als es einem Dichter ziemt. Es ist nicht viel mehr über die Lächerlichkeiten der Virtuosen hier zu reden, wenn Dichter, die als die ersten Lehrer der Nation angesehen sein sollten, über diesem Schimmer alles andere vergessen können."

Beethoven und Goehte gehen getrennte Wege

So trennen sich die Wege der beiden Künstler wenige Tage später wieder. Trotz allem findet Goethe gegenüber seinem Freund Carl Friedrich Zelter doch ein paar verständnisvolle Worte für Beethoven: "Er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verlässt, das vielleicht dem musikalischen Teil seines Wesens weniger als dem geselligen schadet. Er, der ohnehin lakonischer Natur ist, wird es nun doppelt durch diesen Mangel."

Er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit.
Goethe über Beethoven

Nach diesen Sommer 1812 haben sich Beethoven und Goethe nie wieder gesehen. Das Bedürfnis war wohl auf beiden Seiten nicht besonders groß.

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