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Der Pianist Florian Heinisch Auf den Spuren eines toten Idols

Der Pianist Karlrobert Kreiten wollte 1943 in Heidelberg gerade die Konzertbühne betreten, als die Gestapo ihn wegen "Wehrkraftzersetzung" verhaftete. Kreiten - eines der größten Musiktalente des 20. Jahrhunderts - wurde gehängt. Er war nur 27 Jahre alt. Florian Heinisch, selber Mitte Zwanzig und Pianist, will nun an den ermordeten Künstler erinnern. Und das Konzert spielen, das Kreiten nicht mehr aufführen konnte. Am Mittwoch ist er in München zu hören.

Pianist Florian Heinisch | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Er habe eines der größten Klaviertalente erlebt, die man sich vorstellen kann, sagte der große chilenische Pianist Claudio Arrau einmal über einen Schüler Karlrobert Kreiten. Nach Gieseking, nach Kempff hätte Kreiten seiner Meinung nach einer der größten Pianisten des 20. Jahrhunderts werden können. Aber dazu sollte es nicht kommen. Karlrobert Kreiten war erst 27 Jahre alt, als er von den Nationalsozialisten in der Nacht zum 8. September 1943 gehängt wurde. Er war kein Jude. Er machte mit seiner Musik keine Politik. Er sprach nur zum falschen Zeitpunkt eine Wahrheit aus, die jeder kannte, aber besser für sich behielt: nach der Niederlage von Stalingrad Anfang 1943 den Zweifel am Sieg der Deutschen in einem bereits vier Jahre andauernden Weltkrieg.

Vor einem Konzertauftritt verhaftet

Eine Dreiviertelstunde, bevor Karlrobert Kreiten die Bühne für ein Konzert betreten sollte, er hatte schon die Lackschuhe fürs Konzert angezogen und die Noten bereitgelegt, wurde er am 3. Mai 1943 in Heidelberg verhaftet. Jemand hatte ihn bei der Gestapo denunziert. Das Konzert, als Auftakt einer Tournee durch Deutschland geplant, blieb ungespielt.

Todesurteil: Wehrmachtszersetzung

Pianist Karlrobert Kreiten | Bildquelle: picture-alliance/dpa Pianist Karlrobert Kreiten | Bildquelle: picture-alliance/dpa 100 Jahre nach Karlrobert Kreitens Geburtstag will das nun ein junger Pianist nachholen: der 25-jährige Florian Heinisch aus Eisenach. Um dem Schicksal Kreitens näher zu kommen, besucht er die Gedenkstätte Berlin-Plötzensee. Hier wurde Kreiten ermordet. Trotz Sonnenschein trägt Florian Heinisch einen Mantel; die Hände in den Taschen. Die Augen schimmern dunkelblau, die Haut ist blass: viel üben, wenig Licht. Niemand außer uns besucht an diesem Vormittag die Gedenkstätte. Im Hinrichtungsraum ist es klamm. In der Vitrine hängen die Todesurteile ehemaliger Insassen. Auch das von Karlrobert Kreiten. Nur zwei Jahre älter als Heinisch war er, als er im im Sommer 1943 in seiner Zelle in Berlin-Plötzensee auf sein Urteil wartete. Das Todesurteil wegen "Wehrkraftzersetzung".

Ich frage mich, was in den Köpfen der Menschen vorgegangen sein muss. Das ist alles Unfug, wenn man das durchliest: Stark und einig, ungestört, dem Sieg entgegen marschieren.
Florian Heinisch an der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee

Stichwort: Kreiten-Affäre

Am 3. September 1943 wird Karlrobert Kreiten vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und vier Tage später hingerichtet. Am 20. September beurteilt der Journalist Werner Höfer in der Zeitung Das 12 Uhr Blatt die Hinrichtung in seinem Artikel Künstler – Beispiel und Vorbild ausdrücklich positiv. 1987 wird der Fall erneut aufgerollt, als Harald Wieser im Spiegel über Höfers Artikel berichtet und damit eine öffentliche Debatte auslöst. Höfer, inzwischen Moderator der ARD-Sendung Das Internationale Frühschoppen, bestreitet zunächst, den Text verfasst zu haben, muss dann aber seine Position im Frühschoppen aufgeben. Seine Karriere war beendet.

Ein normales Konzert zu spielen bedeutet für den Musiker: die technischen Schwierigkeiten überwinden. Sich fragen: Was hat der Komponist gewollt, warum hat er das geschrieben? Das ist die eine Sache. Etwas völlig anderes ist es, das Konzert eines toten Interpreten nachzuholen. Wie hätte er gespielt, was gewichtet? "Er muss sehr intelligent und sehr talentiert gewesen sein, eine unglaubliche Technik gehabt haben", vermutet Florian Heinisch. Zuerst sah er sich die Stücke an, die Karlrobert Kreiten spielen wollte. Bach/Busoni, Mozart, Beethovens "Appassionata", Chopin-Etüden und die Spanische Rhapsodie von Liszt. "Das ist ein Programm, mit dem man die Zuhörer beeindrucken kann. Das Publikum fiebert mit und der Applaus wird immer größer. Das war natürlich Absicht, und ich frage mich, was das über einen Charakter aussagt."

Viele Parallelen

Im nächsten Schritt hörte sich Heinisch die einzige existierende Schallplattenaufnahme mit Karlrobert Kreiten an. Kreiten muss ein sehr emotionaler Mensch gewesen sein, schlussfolgert Heinisch. Und entdeckt Parallelen zu seinem eigenen Spiel. "Ich bin sehr überlegt, sehr sachlich im Alltag. Auf der Bühne aber gebe ich mehr preis; das ist eine Parallele zu ihm. Ich kann mir auch vorstellen, dass er einen ähnlichen Charakter hatte."

Gedenkstätte Berlin-Plötzensee Schriftzug "Den Opfern der Hitlerdiktatur" | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Florian Heinisch stammt wie Kreiten aus einer musikalischen Familie. Bei beiden sieht man früh das Talent. Beide spielen Wettbewerbe, beide sind erfolgreich. Aber Kreitens Talent wird vor gut 70 Jahren brutal erstickt. Florian Heinisch hingegen gerät bald in die Maschinerie der Pianistenproduktion. "Man redet zu früh von Leistung. Man muss schneller sein, jünger, virtuoser. Damit macht man den Künstler kaputt", kritisiert Heinisch den allgemeinen Erfolgsdruck. "Man sagt schon einem Kind, du musst den ersten Preis gewinnen. Es werden alle immer perfekter, aber die Musik geht dabei verloren. Wenn ich mir anschaue, wie innerlich reif die Komponisten schon gewesen sind - und dann soll das jemand spielen, der noch nichts anderes gesehen hat außer sein Kinderbett!"

Gegen die Wettbewerbsmaschinerie

Florian Heinisch ist 15, als es ihm zu viel wird. Zwei, drei Jahre rührt er das Klavier nicht an. Dann, mit 19, beginnt er ein Schulmusikstudium. Aber er merkt bald, dass er mehr will. Heute studiert er wieder Klavier, an der Musikhochschule Karlsruhe. Aber gegen die Wettbewerbsmaschinerie wehrt er sich, sucht nach etwas anderem. "Man muss Wettbewerbe gewinnen, um etwas zu erreichen. Aber nur, weil alle diesen Weg gehen, heißt das nicht, dass es keine anderen Wege gibt." Man müsse wieder auf den Ursprung der Sache zurückkommen, meint er.

Musik ist etwas, was verbindet, etwas Gesellschaftliches, eine emotionale Angelegenheit.
Florian Heinisch

Auch deshalb steht Florian Heinisch jetzt auf dem Platz der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee. Er nimmt die drei Stufen hoch zur Mauer, an deren Fuß ein einsamer Blumenkranz liegt. Den Opfern der Hitlerdiktatur der Jahre 1933 -1945.

Das ungespielte Konzert – In memoriam Karlrobert Kreiten

Mittwoch, 29. Juni 2016, München, Ludwig-Maximilians-Universität

Johann Sebastian Bach / Feruccio Busoni: Präludium und Fuge D-Dur BWV 532
Wolfgang Amadeus Mozart: Sonate C-Dur KV 330
Ludwig van Beethoven: Sonate f-Moll op. 57
Frédéric Chopin: Etüden op. 10 Nr. 2, 8, 12; op. 25 Nr. 7, 6, 10
Franz Liszt: Spanische Rhapsodie

Florian Heinisch, Klavier

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