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Mario Venzago und Christiane Libor zu Beethovens "Leonore" "Das hat etwas vom frühen Wagner"

Beethovens "Leonore" stellt die Interpreten vor ganz andere Herausforderungen als der "Fidelio". Welche das sind und warum man sich als Musiker Freiheitn muss, um sie zu bewältigen, darüber sprechen Dirigent Mario Venzago und Sopranistin Christiane Libor, die Darstellerin der Hauptrolle.

Dirigent Mario Venzago | Bildquelle: © Copyright Mario Venzago

Bildquelle: © Copyright Mario Venzago

BR-KLASSIK: Mario Venzago, Sie waren ja ganz entscheidend beteiligt, Beethovens "Leonore" aufs Programm zu setzen, auch von Ihnen stammt auch die Einrichtung dieser Fassung. Woher kommt die Liebe zu dieser "Ur-Leonore"?

Mario Venzago: Diese Liebe ist sehr alt. In Winterthur, wo ich meine erste Stelle hatte als Dirigent, gab es einen Fagottisten, der hobbymäßig ein Beethoven-Forscher war. Und Sie glauben es nicht: Er hat diese "Leonore" ausgegraben, zurecht gemacht und veröffentlicht. Und ich war bei ihm zu Hause. Sozusagen war ich der Erste überhaupt, der diese Partitur sehen durfte. Und ich habe schon damals eine solche Liebe zu dem Stück gefasst, weil ich es persönlich interessanter finde als die spätere Fassung, die unter dem Titel "Fidelio" bekannt ist. Die "Leonore" ist ausladender, hat mehr Musik und ist viel mehr noch zwischen Haydn und Wagner angesiedelt. Das Stück ist nicht so eingegrenzt, und daher kommt bei mir diese ganz große Liebe.   

BR-KLASSIK: Wie haben Sie, Frau Libor, reagiert, als Sie für die Rolle angefragt wurden? Ich könnte mir vorstellen, diese "Ur-Leonore" hat man nicht unbedingt im Repertoire …

Christiane Libor: Nein, das habe ich neu gelernt. Oder sagen wir "dazugelernt" - das ist, glaube ich, der bessere Begriff. Ich habe das Werk schon mal vor ein paar Jahren unter den Fingern gehabt und fand es damals schon sehr interessant. Und jetzt, wo sich die Gelegenheit ergab, habe ich natürlich sofort  ja gesagt. Das ist wirklich spannend, eine große Herausforderung, ganz anders als "Fidelio".

BR-KLASSIK: Was ist genau der Unterschied zwischen "Leonore" und "Fidelio"?

Sopranistin Christiane Libor | Bildquelle: © Pensiun Aldier Bildquelle: © Pensiun Aldier Christiane Libor: Naja, zum Beispiel die diversen neuen Einschübe; es sind viele Koloraturen drin, die Stücke sind länger, es gibt andere Phrasierungen, die ein wenig leichter zu singen sind als die in der  späteren Fassung. Wir haben uns gerade kurz nach der Probe drüber unterhalten. Die "Fidelio"-Leonore kann schon ein bisschen "wagnerischer" gesungen werden. Sie liegt auch ein bisschen tiefer, ist für mein Gefühl also anders konzipiert. Und man singt sich von den unteren Mittellagen nach oben. Bei der "Leonore" hingegen ist es anders: Da gibt es hohe Passagen, dann plötzlich welche in der Tiefe und dann wird es wieder ganz hoch. Also, das ist schon mal eine andere Art zu singen. Das hat etwas vom frühen Wagner - "Die Feen", zum Beispiel, ein wenig geht es in diese Richtung.

Mario Venzago: Ich finde das sehr interessant, was Frau Libor gesagt hat. Wie die Partie angelegt ist: mal hoch, mal tief. Im Ganzen ist diese Musik freier zu gestalten, was das Tempo anbelangt. Zwar sind die Grundtempi wahnsinnig schnell, wir sind in der Welt der Dritten Symphonie, der "Eroica", und in der Welt der Vierten mit ihrem rasend schnellen Finale. Diese Schnelligkeit interessierte Beethoven durchaus - die "Leonore" ist ein unglaublich schnelles Stück. Aber plötzlich hört das auf, plötzlich gibt es Raum, gibt es Gefühle fast schon Schubert’scher Art  - Kosmen, die sich plötzlich ausbreiten, die ganz ohne Tempo sind. Und ich finde, dass es geradezu herausfordert, auch gelegentlich zu verzieren, Kadenzen einzubauen. Und die Figur der Leonore ist ja so wunderbar angelegt, sie singt ja die mörderischsten Kadenzen, die man sich vorstellen kann. Das kommt einerseits von Haydn, aber auch von noch viel früher: Die Leonore singt, als wäre die ganze Welt von Monteverdi auch zugegen. Diese große Kadenzen haben etwas von ganz alter, archetypischer, archaischer Musik. Und das kann man unmöglich in den "Fidelio", den wir kennen, einfügen. Der "Fidelio" ist, wie die Symphonien, ein abgeschlossenes Stück, bei dem es kein Jota hinzuzufügen gibt. Hier ist das eine offene Partitur.

BR-KLASSIK: Sie haben die Kadenzen erwähnt, das Verzieren. Wie viel Freiheit gönnen Sie sich da? Und wieviel ist fest notiert?

Christiane Libor: Herr Venzago hat wunderbare Vorschläge gemacht, die ich auch gerne nutze. Und wir haben auch im Probenprozess ein klein wenig verändert. In einer Arie gibt es zum Beispiel mehrere Kadenzen, die sehr schwer sind; wir haben da etwas vereinfacht, damit ich gut durch die Partie komme. Und da haben wir sehr viel Freiheit gehabt, glaube ich.

Mario Venzago: Wichtig ist: Wir haben nichts vereinfacht, was Beethoven geschrieben hat.

BR-KLASSIK: Und gibt es da noch den spontanen Moment im Konzert?

Christiane Libor: Das wird, glaube ich nicht stattfinden. Dafür ist das Stück zu kompliziert… (lacht). Ich muss gestehen, die Partie ist wirklich sehr anstrengend, sehr schwer, und ich bin froh, wenn ich das gut meistere. Und was an Freiheit vorhanden ist, betrifft die Einteilung der Kadenz: Wie lange brauche ich für eine Phrase, wieviel Platz lasse ich mir - das ist ganz meine Entscheidung, und das ist dann auch spontan.

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