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Jean Sibelius beobachtet Singschwäne Inspiration für ein Meisterwerk

Ainola, 21. April 1915: Jean Sibelius beobachtet Singschwäne. Ainola liegt in Finnland und ist das Landhaus des Komponisten. Sibelius war mit seiner Familie hierhergezogen, um Ruhe zu finden vor dem Trubel der Städte. Vom Haus, das weit abseits von jeder Straße und auf einer Anhöhe lag, konnte man auf den Wald und die spiegelglatte Fläche des Sees hinuntersehen. Über dem See und über den Bäumen flogen die Vögel.

Singschwäne in skandinavischer Landschaft | Bildquelle: picture alliance / Zoonar | Frank Fichtmueller

Bildquelle: picture alliance / Zoonar | Frank Fichtmueller

Das Kalenderblatt zum Anhören

"Sie geben meinem Leben Glanz", sagte der Komponist über die Vögel. "Seltsam, dass mich nichts auf dieser Welt so berührt, weder in der Kunst noch in der Literatur oder in der Musik, wie diese Schwäne. Und die Kraniche und Wildgänse. Ihre Stimmen. Und ihr Dasein." Am 21. April 1915, vormittags um kurz vor elf, beobachtet Jean Sibelius eine große Gruppe von 16 Schwänen, die in Keilformation über Ainola fliegen. "Eines der größten Ereignisse meines Lebens", erinnerte sich der Komponist. "Mein Gott, wie schön das war. Sie kreisten lange über mir. Dann verschwanden sie in die verschleierte Sonne, wie ein von Zeit zu Zeit aufblitzendes Silberband."

Eines der größten Ereignisse meines Lebens.
Jean Sibelius über sein Erlebnis mit den Schwänen

Vogelrufe wie der Schrei eines Kindes

Der Komponist Jean Sibelius | Bildquelle: picture alliance / Costa/leemage | ©Costa/leemage Jean Sibelius | Bildquelle: picture alliance / Costa/leemage | ©Costa/leemage Und es waren Schwäne von besonderer Art: Singschwäne. Finnlands Wappentiere. Im April fliegen die Singschwäne von ihren Winterquartieren zurück in die Brutgebiete im finnischen Norden. Singschwäne heißen sie, weil sie ganz eigenartige Töne ausstoßen. "Sie haben etwas Sarrusophonartiges an sich. Wie eine lang verdrängte Erinnerung an den Schrei eines kleinen Kindes. Ein Mysterium der Natur: Die Melancholie des Lebens." Sibelius ist von dem Flug der Schwäne über Ainola derart beeindruckt, dass er – neben die Notiz in seinem Tagebuch – ein musikalisches Motiv skizziert: das Finalthema der Fünften Symphonie. Aus dem schnellen Tremolo der Streicher löst sich – wie aus einem Anlauf heraus – in den Hörnern das "Thema der Schwäne": schwerelos, majestätisch dahingleitend.

Die Natur verabschiedet den Komponisten

Vierzig Jahre später hat Jean Sibelius ein letztes Mal Vögel über Ainola fliegen sehen. Ein Zeitzeuge erinnert sich: "An einem Tag im September blieb er auf der Veranda stehen und sah einer Gruppe Kraniche zu, die vorbeiflogen. Einer der Vögel trennte sich von den anderen, zog ein paar Kreise um das Haus und kehrte dann zur Gruppe zurück. Sibelius ging ins Haus und sagte zu seiner Frau: Ich glaube, soeben hat mich die Natur verabschiedet. Zwei Tage später war er tot."

Esa-Pekka Salonen dirigiert Sibelius' Fünfte

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Sibelius Symphony No 5 E flat major Esa Pekka Salonen Swedish Radio Symphony Orchestra | Bildquelle: Sonorum Concentus Romantic Era (via YouTube)

Sibelius Symphony No 5 E flat major Esa Pekka Salonen Swedish Radio Symphony Orchestra

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 21. April 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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