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Peter Michael Hamel zum 70. Geburtstag Unermüdlicher Weltenwanderer

Wenn man jemanden eine Ausnahmegestalt nennen kann, dann ihn: Peter Michael Hamel. Ein Rätsel, wie dieser wilde Mensch, der sich nie um geistige und musikalische Schranken geschert hat, es nicht nur zum etablierten Komponisten, Musiker, Hochschulprofessor und Buchautor geschafft, sondern auch zum Direktor der Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Am 14. Juli feiert der Komponist seinen 70. Geburtstag.

Peter Michael Hamel | Bildquelle: Astrid Ackermann / BR

Bildquelle: Astrid Ackermann / BR

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Peter Michael Hamel im Interview

Immer neugierig, wissbegierig und offen hat Peter Michael Hamel von Kindesbeinen an in alle Richtungen geblickt. Er lernte Klavier, Horn, Geige und Cello, entdeckte mit fünf Jahren das Improvisieren für sich, spielte später in der Rockband Embryo, sorgte als Kabarettist für Jubelstürme beim Publikum und wurde seit jeher mindestens genauso in der Szene der zeitgenössischen Musik geschätzt. Und das, obwohl ihn das Schubladendenken der Avantgarde schon immer gestört hat. "Das kabarettistische Auftreten war auch eine Kritik an dem Kästchendenken: Das hier ist E und das da U", sagt Hamel. "Und jede Quinte war bürgerlich. Die Avantgarde, die eigentlich die Freiheit postuliert hat, hat neue Zwänge geschaffen! Aber das war mir alles egal, mich hat das alles nicht gejuckt. So bin ich hintereinander in verschiedene Genres geraten. Bis hin zum Musical. Und wenn es heißt, der Hamel tanzt auf vielen Hochzeiten, dann kann ich nur sagen: Nein, es ist eine Frau Musica, mit der ich liiert bin. Andere haben sie in Teile geteilt, nicht ich."

Selbstheilerische Maßnahme durch Musik

In anderen Ländern ging es schon damals, in den 60er-Jahren, weniger streng zu. Parallel zu den Pionieren der Minimal Music, wie Terry Riley oder La Monte Young, die er später alle kennen lernen sollte, entdeckte Peter Michael Hamel das für sich, was er lieber reduktionistische Musik nennt statt Minimal Music: unermüdliche Tonwiederholungen, die Hände immer das Gleiche repetierend. Heimlich, ohne seine Kommilitonen an der Münchner Musikhochschule einzuweihen und erst recht ohne, dass seine Kompositionsprofessoren Fritz Büchtger und Günter Bialas davon wussten, fängt er an, reduzierte, minimalistische Musik zu spielen und zu schreiben. "Das war eine selbstheilerische Maßnahme in Zeiten, in denen ich nicht wusste, wo ich bin, in denen auch die Familie auseinander gebrochen war", erinnert sich Hamel. "Da brauchte ich etwas, das mich rettet. Und so habe ich angefangen, Töne zu wiederholen. Und plötzlich dachte ich: Damit kann ich atmen. Ich bin - inzwischen seit sechs Jahren - trockener Alkoholiker, und das hätte ich damals schon wissen müssen: Mit dieser Musik brauche ich nicht zu trinken. Das ist mein Ersatz, meine Freiheit. Es ist ein Fliegenkönnen, ein Schwimmen, es ist heilend."

Immer auf der Suche

Später bereiste er die Welt, lernte in Indien Ragas, von Lateinamerikanern Sambarhythmen und in Marokko die Gnawa-Musik kennen. Immer auf der Suche nach neuen Instrumenten, neuen Klängen und musikalischen Überraschungen. Heute sucht und forscht der 1947 geborene Hamel eher in sich: "Ich muss nicht mehr irgendwohin, um etwas zu lernen - ich habe noch genug in mir zu lernen. Im Augenblick, im Jetzt, in der Gegenwart zu sein, das ist das Ziel."

Das jedes Mal neu präparierte Klavier - das ist immer wieder eine Entdeckung für mich.
Peter Michael Hamel

Auch Hamels Musiksprache hat sich über die Jahre konzentriert, "auf den einen Ton", wie er sagt. Die Offenheit gegenüber Neuem ist geblieben. Hinzu gekommen ist die Lust, zweimal hinzuschauen: "Was ich immer wieder neu entdecke, ist das Klavier, in das ich etwas hineinstecke. Du kannst ein Klavier ja so präparieren, als würdest du Gamelan spielen oder afrikanische Musik oder als würdest du trommeln. Das jedes Mal neu präparierte Klavier - das ist immer wieder eine Entdeckung für mich."

Die Bedeutung des Wiedererkennungswerts

Und was ist aus seinem Postulat geworden, mit seiner Musik "nicht nur Eingeweihte in zeitgenössischen Elfenbeintürmen anzusprechen, sondern auch junge Menschen und Erwachsene aus allen Schichten"? "Ein frommer Wunsch", räumt Peter Michael Hamel heute ein. So einfach sei es dann doch nicht. Gerade heute, "bei dem Wahnsinn an Massen, die es an Musik gibt", sei es normal, dass die Menschen sich auf bestimmte Musikrichtungen beschränken: Der eine höre nur Jazz, der nächste ausschließlich John Cage. "Und wieder der nächste sagt: Ich will überhaupt keine neue Musik hören, ich habe den ganzen Tag gearbeitet, und abends will ich das hören, was ich kenne. Der Wiedererkennungswert und die Interpretationsvergleiche, das ist für viele Leute viel interessanter, als etwas Neues kennen zu lernen."

Improvisation und Interkulturelles

Peter Michael Hamel | Bildquelle: picture-alliance/dpa Peter Michael Hamel | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der erhobene Hochkultur-Zeigefinger ist Peter Michael Hamel fremd. Er schaut lieber, was er selber verändern kann - und das ist bei dem Direktor der Bayerischen Akademie der Schönen Künste gleichwohl einiges: Mit einer Initiative, die Komposition als Unterrichtsfach an die Schulen bringen will, möchte er jungen Menschen den Zugang zur zeitgenössischer Musik erleichtern. In Workshops leitet er Menschen zum Improvisieren mit Stimme und Körper an. Als Gründer des Interkulturellen Musikinstituts in Aschau im Chiemgau setzt er sich seit vielen Jahrzehnten für den Austausch zwischen den Kulturen ein - und nicht zuletzt hat er die von ihm geprägte "integrative Musik" stark gemacht, die absichtslos ist, interkulturell, zurückgehend auf die Ur-Musikalität, die sich gleichsam durch alle Kulturen zieht. Sowieso sind es die Momente, in denen Dinge absichtslos passieren, die Peter Michael Hamel mit nunmehr 70 Jahren am meisten genießt: "Wenn ein Liebesakt ohne Absicht ist, ohne Ziel, wenn ES geschieht, wenn ES komponiert oder wenn ich beim Musizieren nicht mehr selbst der Macher bin, mich nicht in meine Selbstkritik und meine Selbstzerfleischung verkrieche, wenn ich nicht in meine dunklen Seiten komme und mich nicht frage, wer das wohl hören wird und ob Herr Sowieso das auch mögen wird, dieser ganze Kram, wenn der wegfällt und ich in der Gegenwart bin, das sind die schönsten Momente."

Stete Herausforderungen

Enthusiastisch und beharrlich zugleich setzt sich Peter Michael Hamel für die zeitgenössische Musik ein, komponiert nach wie vor unermüdlich, gibt Workshops und bringt Schulprojekte auf den Weg. Eigentlich müsste er sieben Leben haben - als Nachfolger von Györgi Ligeti auf die Professur für Komposition und Musiktheorie an der Hamburger Musikhochschule von 1997 bis 2012, als jemand, der mit John Cage, Karlheinz Stockhausen und Morton Feldman zusammen gearbeitet, der mit Jazzmusikern improvisiert und die halbe Welt klanglich erforscht hat, der mit Carl Orff und Luc Ferrari tätig war, der als Mitarbeiter von Josef Anton Riedl an dessen multimedialen Projekten mitgewirkt hat und vieles andere mehr. Doch wie jeder hat auch Peter Michael Hamel nur ein Leben. Eines, auf das der unermüdliche Weltenwanderer gerne zurückblickt, das er aber noch lieber in all seiner Gegenwärtigkeit wahrnimmt: "Im Beruflichen bin ich wirklich freier geworden, zum Beispiel bin ich von der negativen Kraft des Vergleichs abgekommen", zieht der Komponist Resümee. "Aber ich habe Kinder, und das Fortkommen der Kinder sowie der Alltag der Familie, das ist meine stete Herausforderung, und die ist noch nicht zu Ende."

Konzert zu Peter Michael Hamels 70. Geburtstag

München, Orff-Zentrum, Kaulbachstr. 16
Dienstag, 18. Juli 2017, 19.00 Uhr
Konzert und Podiumsgespräch
"Peter Michael Hamel zum 70. Geburtstag"
Präsentation der neuen Monographie über Peter Michael Hamel in der Reihe "Komponisten in Bayern"

Musik zwischen den Welten: Eine Improvisationsperformance für Stimme, präpariertes Klavier und Perkussion
Carl Orff: Drei Sprechstücke in Begleitung einer Trommel
Podiumsgespräch: Peter Michael Hamel, Franzpeter Messmer und Thomas Rösch
Peter Michael Hamel: "Einmal noch" - Drei Klavierfantasien (2015), Uraufführung

Peter Michael Hamel (Präpariertes Klavier)
Johnny Hamel (Djembe, Darabukka und Perkussion)
Njamy Sitson (Stimme, Perkussion, Kalimba und Ngoni)
Salome Kammer (Stimme und Trommel)
Volker Banfield (Klavier)

Sendung: "Leporello" am 14. Juli 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Ein ausführliches Gespräch mit Peter Michael Hamel gibt es in der Sendung
Horizonte am 18. Juli.

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