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Philippe Herreweghe im Interview "Für mich gehören Luther und Bach zusammen"

Der belgische Dirigent Philippe Herreweghe ging bei den Jesuiten zur Schule - dennoch hat er eine enge Beziehung zu Luther. Die entstand in der Auseinandersetzung mit Bachs Musik. Am 29. Januar dirigiert er in München Kantaten von Bach, die für ihn den Geist Luthers am besten widerspiegeln.

Philippe Herreweghe | Bildquelle: © Michiel Hendryckx

Bildquelle: © Michiel Hendryckx

BR-KLASSIK: Sie haben eine Jesuitenschule besucht. Welche Beziehung haben Sie zu Martin Luther?

Philippe Herreweghe: Eigentlich ist Luther nicht so meine Welt, weil ich katholisch aufgewachsen bin. Aber ich spiele seit fünfzig Jahren Bach, sodass ich inzwischen in dieser Welt zuhause bin, ohne dass ich selber gläubiger Protestant bin. Ich habe natürlich auch viel über Luther gelesen, in Zusammenhang mit Bach. Meine Beziehung ist also eher eine historisch-interessierte, und natürlich eine musikalische.

BR-KLASSIK: Die Figur Martin Luther löst ja durchaus ambivalente Gefühle aus - einerseits der Mut, andererseits die negativen Seiten, wie sein Antisemitismus oder auch seine Positionierung im Bauernkrieg. Haben Sie sich mit dem Menschen Martin Luther und seiner Botschaft beschäftigt?

Luther hat eine breite geschichtliche Bedeutung.
Martin Luther

Philippe Herreweghe: Ja, ich habe ein bisschen über ihn gelesen und dieser Antisemitismus ist mir natürlich auch sehr fremd. Aber man muss das im Kontext der Zeit sehen. Auch Bruckner, den ich sehr liebe, war Antisemit. In der Geschichte hat das eine andere Position als heute, und man kann Luther natürlich nicht darauf reduzieren. Er hat eine viel breitere geschichtliche Bedeutung. Vor zwei Wochen war ein sehr interessanter Artikel im "Spiegel". Dort hieß es, dass Luther die Wurzel alles Deutschen und des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Und dass es beispielsweise eine Beziehung gebe zwischen Luther und Hitler. Das finde ich alles sehr interessant. Aber man muss historisch sehr gut informiert sein, was ich versuche, um das in einem breiteren Kontext zu sehen und nicht durch den unseren engen Blickwinkel heute.

BR-KLASSIK: Zwischen Bach und Luther liegen ja fast zwei Jahrhunderte. Wie viel Luther steckt in Bachs Musik?

Philippe Herreweghe: Soweit ich das begreifen kann, glaubte Bach in Luther seine Überzeugungen zu finden, und das hat er in seinen Kantaten quasi vergrößert. Ich kenne Luther durch Bach, und für mich gehören beide zusammen.

BR-KLASSIK: Luther hat ja auch selber komponiert. Er hat nicht nur die Texte zu Liedern geschrieben wie "Christ lag in Todesbanden", sondern wahrscheinlich hat er auch die Melodie zu "Ein feste Burg ist unser Gott" komponiert.

Philippe Herreweghe | Bildquelle: © Michiel Hendryckx Philippe Herreweghe | Bildquelle: © Michiel Hendryckx Philippe Herreweghe: Das ist natürlich auch durchwoben mit Texten von Johann Walter und anderen, späteren Dichtern. Aber in dem Programm, das wir jetzt spielen, ist der Basistext von Luther - das finde ich sehr interessant und schön. Ich spreche sehr schlecht Deutsch, aber ich liebe Deutsch und auch dieses Altdeutsch von Luther. Luther ist auch sehr wichtig gewesen für die deutsche Sprache, ein bisschen wie Dante für die italienische.

BR-KLASSIK: Sie sprechen ganz ausgezeichnet Deutsch und ich glaube, Sie haben auch ein Gespür für die poetische Kraft von Luthers Sprache. Er ist ja ein großer Dichter gewesen.

Philippe Herreweghe: Ja, ein bisschen wie Dante, finde ich. Obwohl ich kein Deutscher bin, habe ich eigentlich mein ganzes Leben der deutschen Musik gewidmet - nicht nur Bach, sondern auch Schumann, Bruckner, Schütz und Schein. Bei dieser Musik ist die Sprache ganz zentral, was mir auch sehr wichtig ist. Ich glaube, es ist sehr typisch für unsere Arbeit als Dirigenten, dass die Sprache immer im Zentrum steht - auch bei Sinfonien von Brahms beispielsweise. Das ist der Kern meiner Arbeit.

BR-KLASSIK: Wie beeinflusst denn die Sprache die Instrumentalmusik?

Philippe Herreweghe: Natürlich gibt es bei den Sinfonien von Brahms keinen Text. Trotzdem gibt es einen Duktus. Und wenn ich mit dem Orchester zum Beispiel an den Phrasierungen arbeite, dann überlege ich mir einen Text und wir nähern uns der Musik über die Flexibilität von gesprochener Sprache an. Das kommt aus dieser Alte-Musik-Bewegung, zu der ich gehöre. Auf dem Gebiet bin ich vielleicht ein "Pionier" gewesen, aber ich hatte Meister, wie Nikolaus Harnoncourt.

Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.

Philippe Herreweghe dirgiert Bach anlässlich des Lutherjahres

Sonntag, 29.01.2017, 11:00 Uhr 
Herkulessaal, München

Johann Sebastian Bach
Kantate "Christ lag in Todesbanden" BWV 4
Kantate "Gott der Herr ist Sonn und Schild" BWV 79
Kantate "Ein feste Burg ist unser Gott" BWV 80
Arnold von Bruck
Motette "Christ lag in Todesbanden"
Motette "Gott der Vater wohn uns bei"

Dorothee Mields - Sopran
Alex Potter - Countertenor
Thomas Hobbs - Tenor
Peter Kooij - Bass

Chor & Orchester Collegium Vocale Gent
Philippe Herreweghe - Leitung

 

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