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Zum 10. Todestag von Christoph Schlingensief Sein Traum lebt im Operndorf Afrika weiter

Es war der Traum des Theateregisseurs Christoph Schlingensief: ein Opernhaus in Afrika, aber ganz anders als in Bayreuth. Bei der Grundsteinlegung in Burkina Faso im Februar 2010 war der visionäre Künstler noch dabei, mitten im Busch, 30 Kilometer vor der Haupttsadt Ouagadougou. Sechs Monate später starb der Theater- und Filmemacher mit 49 Jahren an Krebs. Sein Operndorf hat ihn nicht nur überlebt, sondern es ist mit Hilfe seiner Witwe Aino Laberenz und einer Stiftung weiter gewachsen.

Ein Konzert auf der Bühne im Operndorf Afrika | Bildquelle: Severin Sobgo

Bildquelle: Severin Sobgo

Nein, um die Frage gleich zu beantworten: Da steht noch kein Opernhaus in Christoph Schlingensiefs "Village Opera" in Burkina Faso. Die bereits errichteten Steingebäude wickeln sich im Kreis um den zentralen Platz, der dafür vorgesehen ist. Das Haupthaus kommt dazu, wenn die Zeit reif ist, wenn das Geld da ist.

Sie werden in der Architektur erkennen, dass das Dorf einer Schnecke gleicht. Sie kommt langsam voran, erreicht aber ihr Ziel.
Sévérin Sobgo, Koordinator Operndorf Afrika

Begegnung der Kulturen

Christoph Schlingensief (1960 - 2010) vor Ort in Burkina Faso. | Bildquelle: Aino Laberenz Christoph Schlingensief (1960 - 2010) vor Ort in Burkina Faso. | Bildquelle: Aino Laberenz Es sei "work in progress", erklärt Koordinator Sévérin Sobgo dem ARD-Studio Nordwestafrika bei einem Besuch. Wie andere Führungskräfte im Dorf spricht Sobgo von dem deutschen Theatermacher Schlingensief, als sei der gestern noch da gewesen, um ihm seine Idee von einem Zentrum der Kunst mitten im Busch persönlich zu erklären: "Das war immer sein Leitmotiv, eine Oper zu schaffen, aber nicht im Sinne von Richard Wagner, sondern als Ort der Begegnung und des Austausches von Kulturen und Personen mit unterschiedlichen Horizonten." Deswegen gibt es "Artists in Residence", Gastkünstler. Deswegen geben Regisseure aus dem Ausland Workshops im Operndorf, immer im Austausch mit den afrikanischen Kolleginnen und Kollegen.

Schule und Klinik zuerst

Aber vor der hohen Kunst stehen die Mühen der Ebene. Das war auch dem damals bereits totkranken Schlingensief bewusst, der dabei war, als vor zehn Jahren die Bauarbeiten begannen. "Unsere Oper ist ein Dorf", sagte er, "ein Experimentierdorf, ja. Aber bitte kein Fremdkörper in einem der ärmsten Länder der Welt." Das Naheliegende musste zuerst geschaffen werden: Schulgebäude für bislang dreihundert Kinder, eine kleine Klinik, in der Mütter ihre Babys entbinden können.

Man fährt ins Operndorf, um vielleicht eine Sängerin zu hören und denkt, das hohe C kommt gleich, und man hört plötzlich den Urschrei eines neugeborenen Kindes.
Theaterregiseeur Christoph Schlingensief

Pluspunkte fürs Leben: Malerei und Musik

Der künstlerische Schwerpunkt verändert die Kinder, hat Schuldirektor Abdoulay Ouedrogo beobachtet. Zugang zum eigenen Ton- und Filmstudio, eine Bühne für eigene Inszenierungen, Malerei und Musik: Das zahlt sich unbedingt aus, sagt der Pädagoge. "Diese Kinder haben wirklich ein Plus, das viele Kinder in Burkina leider nicht erfahren." Auf der einen Seite seien sie viel aufgeweckter. Und auf der anderen Seite könnten sie etwas über die äußere Welt erfahren, über die künstlerischen Disziplinen.

Durch Kunst lernen die Kinder nicht nur leichter in der Klasse, sie können sich auch in ihrer Gesellschaft besser ausdrücken.
Abdoulay Ouedrogo, Schuldirektor im Operndorf Afrika

Kinder in der Schule des "Operndorf Afrika" | Bildquelle: Sandra Schaede Theater und Workshops gehören für die 300 Schüler im Operndorf Afrika zum Alltag | Bildquelle: Sandra Schaede Kunst als Weg zum Selbstbewusstsein – und dazu täglich eine warme Mahlzeit. Das Personal zahlt der Staat Burkina Faso, teilt die Opendorf-Leitung in Berlin mit. Für das Kulturprogramm und die Kunst kommen Spender auf – die Summe liegt unter einer halben Milion Euro im Jahr. Sorgen macht man sich um die Sicherheit in Burkina Faso, aber die Terrorkrise des Nordens hat das Gebiet der Hauptstadt noch nicht erreicht. Hunderte Menschen sind dort gestorben, bald 600.000 wurden vertrieben, sagt die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". In Schlingensiefs Operndorf dreihundert Kilometer weiter südlich ist davon wenig zu spüren, aber, so heißt es bei der Leitung in Berlin, man habe die Lage sehr genau im Blick.  

Das Operndorf Afrika

Das Operndorf Afrika in Burkina Faso ist seit seiner Gründung im Februar 2010 ein Ort interkultureller und künstlerischer Begegnung. Es entsteht etwa 30 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Ouagadougou. Burkina Faso gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, besitzt jedoch einen großen kulturellen Reichtum und eine der innovativsten zeitgenössischen Theaterszenen des Kontinents. Das Operndorf soll Netzwerke schaffen, innerafrikanischen Austausch generieren und Wissen teilen, unter dem Motto: "Von Afrika lernen". Inzwischen gibt es im Operndorf auch eine Schule mit künstlerisch-kreativem Schwerpunkt und eine Krankenstation mit Zahnarztpraxis und Geburtsstation. Seit 2015 lädt ein Artist-in-Residence-Programm jährlich afrikanische und nicht-afrikanische KünstlerInnen verschiedener Sparten dazu ein, das Operndorf Afrika für bis zu drei Monate als Lebens- und Arbeitsraum zu nutzen. 2019 errichtete der Artist in Residence Hervé Humbert eine mobile Bühne, die von den SchülerInnen und zukünftigen Besuchern des Operndorfs genutzt oder erweitert werden kann. In diesem Jahr startet im Operndorf ein Alphabetisierungsprogramm für die Eltern der Schulkinder und Bewohner der umliegenden Dörfer, ebenso wird ein umfangreiches Landwirtschaftsprogramm initiiert.

Sendung: "Allegro" am 21. August 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Samstag, 22.August, 10:29 Uhr

C Geosits

Zahlen

Eine kleine Korrektur: Es sind nicht Hunderte, sondern Tausende Tote zu beklagen. Ebenso nicht 600.000, sondern eine Million Binnenvertriebene. Leider.

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