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Johann Sebastian Bach Cellosuite Nr. 5 c-Moll

Bachs Cellosuiten gehören unter Musikern zu den am meisten bewunderten und zugleich am intensivsten diskutierten Werken. Es existiert kein Autograph. Wie soll man sie spielen? Nicht einmal über das Instrument herrscht Klarheit. Das viersaitige Cello gab es zu Bachs Zeit noch nicht lange. Ob er es kannte scheint unsicher angesichts der Tatsache, dass er die sechste Suite für ein fünfsaitiges Instrument schrieb. Gewiss ist nur: Die Suiten sind musikalische Monumente an Schönheit, Kunst und Tiefsinn. Stefan Siegert sprach mit dem Amsterdamer Barockcellisten Anner Bylsma über die Suite Nr. 5.

Porträt Johann Sebastian Bach | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Starke Stücke

Bach – Cello-Suite Nr. 5

Wie kann es angehen, fragen sich viele Interpreten der Bach'schen Cellosuiten, dass es einem Komponisten gelingt, auf einem einzigen Instrument alles ins Spiel zu bringen, was Musik zu bieten hat: Melodien, Farben, einzelne und scheinbar sich überlagernde Stimmen; vor allem verschiedene Rhythmen. Denn, ausgenommen in den Préludes, also den Vorspielen, sagt Bach in den Cellosuiten, was er zu sagen hat, in stiliserten Formen der Modetänze seiner Zeit. Das Prélude der fünften Suite hat als einziges Vorspiel des Zyklus zwei Teile. Wie eine Opernouvertüre nehmen sie das Stimmungsspektrum des Gesamtstücks vorweg.

Der rhetorische Aspekt des Beginns

Der erste, langsame Teil bewegt sich in reich verzierten, wie improvisiert wirkenden Läufen von Akkord zu Akkord, er wirkt eher schwermütig. Anner Bylsma betont den rhetorischen Aspekt: "Der erste lange Ton ist natürlich eine Anrede. Herr! Oder: Leute! Oder: Verdammt noch mal! Also so was." Im Unterschied dazu erweckt der schnellere zweite Teil, obgleich durchweg einstimmig, den Eindruck von Mehrstimmigkeit, bisweilen sogar von Kontrapunkt. Der zweite Satz ist ein melancholischer Dialog, wieder mit dem Anschein von Kontrapunkt. "Allemande" steht über den Noten, also ein Tanz.

Die Courante ist ein Tanz mit Kragen, der steif sitzt. Das ist alles höfisch.
Anner Bylsma über Bachs Cellosuite Nr. 5

Die Courante: Tänzerisch, aber langsam

Wegen des nicht vorhandenen Autographs besteht Unsicherheit nicht nur hinsichtlich Bindebögen, Fingersatz oder Dynamik, sondern auch darüber, in welcher Haltung und Akzentuierung Tänze wie die nun folgende "Courante" zu spielen sind. Anner Bylsma sagt dazu: "Eine französische Courante ist eine andere als eine italienische. Das ist die einzige französische bei den Cellosuiten. Das ist ein ziemlich langsames Stück, in 3/2 notiert. Ein tänzerisches Stück eigentlich. Aber ein Tanz mit Kragen, der steif sitzt. Das ist alles höfisch."

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Eine besondere Sarabande

Cellist Anner Bylsma | Bildquelle: Thierry Martinot/Rue des Archive/Süddeutsche Zeitung Photo Der Cellist Anner Bylsma | Bildquelle: Thierry Martinot/Rue des Archive/Süddeutsche Zeitung Photo Die nun folgende "Sarabande" ist, musikalisch wie – in Anführungszeichen – inhaltlich das Herzstück der Suite. Durchgehend und fraglos einstimmig spricht sich hier radikal schlicht so etwas wie Einsamkeit, Klage, Resignation aus. Freier noch als in den anderen Sätzen, geht Bach hier mit der konventionellen Tanzform um. Anner Bylsma erklärt: "Die Sarabande stammt vom spanischer Hof. Sie hat einen sehr typischen Rhythmus. Aber die Sarabande von der Fünften Suite ist ein sehr merkwürdiges Stück. Die geht nämlich nicht so."
Der Tradition gemäß hat die folgende "Gavotte" zwei Teile. Der erste wirkt schneller als der zweite, mit seiner Triolenbewegung bietet er indes in derselben Zeit nur mehr Noten auf.

Ein heiterer Schlussatz "zum Schlafengehen"

Der Schlussatz schließlich ist eine lebhafte "Gigue". "Diese Gigue ist ein ganz besonderes Stück", weiß Anner Bylsma. "Das ist eine schnelle Gigue, die einen Beinamen hat: 'Canary', also ein Vögelchen. Man kann sich vorstellen, dass sich Bach beim letzten Satz denkt: Naja, ist ja alles schön und gut von wegen traurig und so. Aber jetzt schreibe ich zum Abschluss mal etwas Einfaches, Geselliges, Nettes. Vorm Schlafengehen."

Maximum an Freiräumen für die Fantasie des Hörers

Anner Bylsma fallen zur Musik von Bachs Fünfter Cellosuite spezielle Gedankenflüge ein. Das Publikum, so seine These, soll in diesen Solo-Stücken mit ihrem Maximum an Freiräumen für die Fantasie mehr als sonst in der Musik hörend mitarbeiten, ergänzen und träumen. "Das ist wie Vögel, die im Tiefflug unterwegs sind. Die gehen ein bisschen runter und dann ein bisschen rauf – und im Kopf vom Zuhörer soll das genauso sein."

Musik-Info

Johann Sebastian Bach:
Suite für Violoncello solo Nr. 5 c-Moll, BWV 1011


Anner Bylsma (Barock-Cello)
Label: Sony Classical

Sendung: "Das starke Stück" am 18. Oktober 2022, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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