In seiner Chaconne in d-Moll für Solovioline bringt Johann Sebastian Bach die Gattung zu einem Höhepunkt. Doch trotz aller Zahlen- und Symboltheorien bleibt die besondere Ausstrahlung des Werkes Bachs ein großes Geheimnis.
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Das starke Stück
Bach - Chaconne aus der Partita BWV 1004
Im Juli 1720 kehrt Bach von einer dreimonatigen Dienstreise zurück. Als er sein Haus betritt, empfängt ihn die Nachricht, dass seine Frau vor einer Woche gestorben ist. Man zeigt ihm das Grab. Wenig später komponiert er die Partita für Violine Solo in d-Moll. Haben diese biographischen Fakten etwas miteinander zu tun? Vor einigen Jahren entdeckte die Musikwissenschaftlerin Helga Thoene, daß in der Chaconne Choräle versteckt sind, die um das Thema Tod und Auferstehung kreisen.
Vielleicht liegt das Geheimnis des Werkes auch in der Form des letzten Satzes, der berühmten Chaconne. Diese besteht aus freien Variationen über einem Thema in der Baßstimme, das ununterbrochen wiederholt wird. Ein ständig um sich selbst kreisender Gedanke, den Bach ganze 32 Mal eindringlich variiert.
Auch vom äußeren Umfang her stellt die Chaconne alles in den Schatten, was bis dahin für Violine Solo geschrieben wurde: Als einzelner Satz dauert sie gut eine Viertelstunde - so lang wie die übrigen vier Sätze zusammen. Technisch ist sie eins der schwierigsten Stücke der Violinliteratur. Aber Bach ging es damals sicherlich nicht um Virtuosenmusik zum Zeitvertreib für gelangweilte Höflinge.
Nach der Entdeckung der verborgenen Choralzitate durch Helga Thoene war der Geiger Christoph Poppen sofort von der These überzeugt, daß die Chaconne so etwas wie ein musikalischer Grabstein für Bachs verstorbene Frau sein musste.
"Die Chaconne ist mir eines der wunderbarsten, unbegreiflichsten Musikstücke. Auf ein System für ein kleines Instrument schreibt der Mann eine ganze Welt von tiefsten Gedanken und gewaltigsten Empfindungen. Hätte ich das Stück machen, empfangen können, ich weiß sicher, die übergroße Aufregung und Erschütterung hätten mich verrückt gemacht." (Johannes Brahms)
Gut hundert Jahre lang blieb die Chaconne vergessen - bis Robert Schubert eine Klavierbegleitung dazu komponierte. Von da an konnte sich kaum ein Komponist ihrer Faszination entziehen. Johannes Brahms schrieb eine Klavier-Bearbeitung, die nur mit der linken Hand gespielt wird, von Ferruccio Busoni stammt eine pompöse Klavier-Fassung, außerdem gibt es mehrere Orchestrierungen. Und erst vor kurzem hat ein japanischer Komponist eine Fassung für vier Bratschen geschrieben. Aber keine Bearbeitung kann sich mit dem Original messen.
Johann Sebastian Bach - Chaconne aus der Partita d-Moll für Violine Solo, BWV 1004
Christoph Poppen, Violine
CD-Titel: Morimur
Label: ECM NEW SERIES