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Béla Bartók Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta

Es war ein Geburtstagsgeschenk: Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Celesta und Schlagzeug. Zum zehnjährigen Jubiläum des Basler Kammerorchesters 1936 hatte Dirigent Paul Sacher, der das Orchester gegründet hatte, einen besonderen Wunsch: ein neues Werk von Bartók. Bei der Uraufführung war der Komponist selbst anwesend und wurde beschenkt: mit einem Riesenerfolg. Von Basel aus eroberte das Werk ganz Europa. Uta Sailer stellt das Starke Stück zusammen mit dem Dirigenten Jukka-Pekka Saraste vor.

Der Komponist Béla Bartók | Bildquelle: © Leemage

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Die Sendung zum Anhören

Erster Satz – ein musikalischer Schöpfungsakt

Wie aus dem Nichts schält sich eine engschrittige Melodie aus der Stille: das Fugenthema, Keimzelle des gesamten Werkes. Mit seinem Auf und Ab ein klingender Bogen, Symbol für das Auf und Ab des Lebens. Für den Dirigenten Jukka-Pekka Saraste symbolisiert diese Musik das sachte Wiedererwachen nach einer Katastrophe: "Es ist ein großes Lamento. Der Anfang ist wie das langsam erwachende Leben nach einem Erdbeben oder einer anderen Katastrophe. Dieses Leben kommt näher und näher, bis dann die menschliche Leidenschaft dazukommt. Für mich gehört dieser Anfang zum Besten, was Bartók je geschrieben hat."

So berückend der Klangeindruck, so streng die Konstruktion. Bartók unterwirft das Fugenthema einem klaren Ordnungsprinzip. Lässt es von allen Stimmen vortragen – immer im Abstand von fünf Tönen setzen die verschiedenen Instrumentengruppen ein. Der Satz verdichtet sich bis zum Höhepunkt, dann lässt Bartók die geballte Energie wieder zerfließen. Bartók als Mathematiker und als leidenschaftlicher Klangbildner.

Am Schwierigsten sind die völlig überraschenden Rhythmuswechsel.
Jukka-Pekka Saraste

Zweiter Satz – eine Hommage an die Kraft des Rhythmus

Der Schweizer Dirigent und Mäzen Paul Sacher | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Rolf Haid Er gab das Werk in Auftrag: der Schweizer Dirigent und Mäzen Paul Sacher | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Rolf Haid Ständige Rhythmuswechsel peitschen die Musik voran, in hohem Tempo. Dabei wird auch das Klavier zum Rhythmusinstrument. Für die Musiker, aber auch für Jukka-Pekka Saraste sind die ständigen Rhythmuswechsel eine echte Herausforderung: "Am Schwierigsten sind die völlig überraschenden Rhythmuswechsel ohne jeglichen Übergang. Das ist aber gleichzeitig auch das Faszinierende, dieses abrupte Hineinspringen in musikalisch völlig neue Zusammenhänge. Und je schneller man diesen Satz spielt, desto besser. Die Metronomangaben sind jenseits der Spielbarkeit, aber man muss sie als Ziel haben, um immer besser zu werden."

Die markante Rhythmik verweist auf die Tradition der osteuropäischen Volksmusik. Als Bartók die Musik für Saiteninstrumente, Celesta und Schlagzeug schreibt, ist er bereits dabei, mehr als 9.000 Melodien aufzunehmen, auszuwerten und zu veröffentlichen. Die Faszination, die von dieser Musik ausgeht, wird ihn nie mehr loslassen. Vielmehr macht er sich den ihr innewohnenden Zauber zu Eigen und formt aus dem Zusammenwirken volksmusikalischer Elemente und eigener Klangvorstellungen seine eigene, unverwechselbare Musiksprache.

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Dritter Satz – ein bunt schillerndes Kaleidoskop der Klänge

Jukka-Pekka Saraste | Bildquelle: picture alliance/Horst Galuschka/dpa/Horst Galuschka dpa Der Dirigent Jukka-Pekka Saraste | Bildquelle: picture alliance/Horst Galuschka/dpa/Horst Galuschka dpa Dies ist eines von Bartoks typischen "Nachtstücken". Er malt in ihm ein buntes Klangbild à la Debussy. Solche zauberhaften Klänge entstehen allein schon durch die besondere Besetzung: Musik für Saiteninstrumente – das meint hier Streicher, aber auch Klavier und Harfe, Celesta und Schlagzeug. So eine Besetzung hatte es bis dahin noch nie gegeben. Bartók setzt noch eins drauf, indem er die Anordnung der Musiker auf der Bühne vorschreibt: Wie in der doppelchörigen Kirchenmusik der Renaissance, wo zwei Chöre auf einander gegenüberliegenden Emporen platziert wurden, um eine besondere Raumwirkung zu erzielen, setzt Bartók auf der Bühne zwei Streichorchester einander gegenüber. In der Mitte sitzt der Schlagzeuger. So entsteht eine strereophone Klangwirkung, die den gezielten Einsatz der Instrumente noch verstärkt.  

Wie Bartók die unterschiedlichen Instrumentengruppen genau einsetzt, erklärt Jukka-Pekka Saraste: "Schlagzeug und Klavier imitieren Naturlaute, Klänge, die man im Wald oder auf der Wiese hören kann. Das Xylophon zum Beispiel ahmt einen Vogel nach. Die Streicher spielen einen volksmusikalischen Stil, so wie in der traditionellen ungarischen Volksmusik. Es ist sehr schwierig, inwieweit man versuchen soll, diesen speziellen Stil der Volksmusik von damals nachzuahmen."

Vierter Satz – volksmusikalischer Rausschmeißer oder erzwungene Freude?

Das Finale präsentiert volksmusikalische Heiterkeit als Schlusspunkt. Aber auch hier tun sich Abgründe auf – oberflächliche Heiterkeit gibt es bei Bartók nicht. Dafür aber eine geschlossene, in sich stimmige Form. Das ganze Werk hindurch sind Anklänge an das anfängliche Fugenthema zu hören. Am Ende erscheint es in neuem Gewand: diatonisch statt chromatisch. Dadurch wirkt es heller, lichter. Vom Dunkel zum Licht? Was meint Esa-Pekka Saraste dazu? "Ich finde den Schluss gar nicht so optimistisch wie er klingt. Es klingt für mich eher wie ein Fragezeichen. Das kommt wohl von der Orchestrierung. Die lauten Trompeten und Posaunen fehlen hier, und so einen Schluss nur mit Streichern zu spielen, das klingt ein wenig erzwungen."

Musik-Info

Béla Bartók:
Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, Sz 106


Toronto Symphony Orchestra
Leitung: Jukka-Pekka Saraste
Label: Finlandia

Sendung: "Das starke Stück" am 14. Juni 2022, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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