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Johannes Brahms Fantasien op. 116

1892 beginnt Johannes Brahms in Bad Ischl seinen letzten Klavierzyklus zu komponieren. Insgesamt 20 Stücke. Es sind die innigsten und schwermütigsten in seinem ganzen Klavieroeuvre und sein musikalisches Testamtent. Julia Smilga stellt den ersten Zyklusteil mit der Pianistin Anna Gourari vor.

Portrait Johannes Brahms | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Starkes Stück

Johannes Brahms Fantasien, op. 116

Eigentlich dachte Johannes Brahms, bereits alles in der Musik gesagt zu haben. Die letzte Sinfonie, Nummer vier, lag mehr als fünf Jahre zurück. Mit Klarinettenwerken hatte er sich ein Jahr zuvor auch aus der Kammermusik verabschiedet.  Für Klavier solo hatte er seit dreizehn Jahren nichts mehr geschrieben. 1892 jedoch wendet sich der 59-jährige Komponist wieder "seinem" Instrument zu.

"Brahms geht in seinen später Jahren von den großen Formen weg, er schreibt keine Sonate, keine großen Variationen, sondern eben diese kleinen Haikus, diese kleinen Gedichte, die vielleicht eine Art Reflektion seines Lebens darstellen. Sie offenbaren für mich eine unendliche Weite der Möglichkeiten des Klaviers." (Anna Gourari, Pianistin)

Spannende Arbeit mit Pedal

Clara Schumann (zeitgenössische Darstellung) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Clara Schumann | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Die Farbpalette ist unendlich groß. Da sind sehr viele Pianostellen dabei, die aber sehr polyphon geschrieben sind, das heißt, die Dialoge zwischen den Stimmen finden statt, aber in Bereich des Pianissimos manchmal - und das erfordert eine unglaubliche Arbeit. Sowohl von Pianisten als auch vom Zuhörer. Es ist eine sehr große und spannende Arbeit mit Pedal, er benutzt es sehr sparsam , und so soll es auch gespielt werden. Es ist eine sehr wichtige Linie der Zeit, finde ich - Zeit zwischen den Stücken, die Zeit, die man für die Pausen in dem Stück sich nimmt. Das braucht sehr viel Ruhe…" (Anna Gourari)

Seiner Zeit voraus

Anna Gourari | Bildquelle: Frank Eidel Die Pianistin Anna Gourari | Bildquelle: Frank Eidel "Sieben Fantasien" nennt Brahms diesen Zyklus, doch kein Einzelstück trägt diesen Namen, sie heissen "Capriccio" oder "Intermezzo". Was sich Brahms beim Obertitel "Fantasien" gedacht hat, bleibt für immer ein Rätsel. Fantasievoll ist auf jeden Fall die neue Tonsprache. Die einst vorherrschende geballte Dramatik tritt hinter einer leisen Melancholie zurück. Brahms verzichtet auf jeden Schmuck, auf alles Nebensächlich-Verbindliche und erweist sich als Architekt, der mit wenigen Grundbausteinen auskommt. Die Zeitgenossen konnten mit dieser neuen Klarheit nicht viel anfangen, und als Hugo Wolf das schmähende Urteil fällte, Brahms komponiere ohne Einfälle zu haben, sprach er damals vielen Musikliebhabern aus der Seele. Dabei war der Komponist nur seiner Zeit voraus, sagt Pianistin Anna Gourari.

"Es war zunächst harmonisch gesehen sehr innovativ. Zum Beispiel Intermezzo Nr. 4 ist voller Dissonanzen. Und das war neu, das war etwas, was man von Brahms nicht so kannte. Es war fast impressionistisch geschrieben." (Anna Gourari)

Einblick in Brahms innere Welt

Das vierte Intermezzo zählt zu den Höhepunkten im Opus 116. Pastorale mischt sich hier mit Resignation, Ekstase - mit Wehmut. Im nächsten sehr persönlichen Intermezzo Nummer 5 gewährt Brahms Einblicke in seine innere Welt.

"Das sind unheimlich intime, ich würde fast sagen, gebetartige Stücke. Das Vierte - eine Art Nocturne. Unheimlich sparsam an Dynamik und dennoch ist es große Herausforderung für einen Interpreten, es bis zum letzten Augenblick melodisch zu führen, die ganzen Feinheiten auszukosten. Und das 5. Stück - für mich steht es einfach absolut apart da. Es ist ein atemloses, ein zeitloses Stück, ein Stück, wo der Interpret genauso wie Brahms meiner Meinung nach fast nach Atem ringt. Es ist von kleinen kurzen Pausen unterbrochen und dennoch muss man versuchen, die große Linie bis zum Schluss zu halten." Anna Gourari

Zuspruch von Clara Schumann

Das folgende sechste Intermezzo im dicht polyphonen Choralstil strahlt Wärme und Innigkeit aus. Es klingt wie ein Zwiegespräch zwischen einem wehmütigen, sehr einsamen Brahms und seinem Musikinstrument, das ihm Trost zu spenden versucht. Noch bevor die Fantasien bei seinem Hauptverleger Simrok in Berlin erschienen sind, schickt Brahms handschriftliche Noten an Clara Schumann, seine jahrelange künstlerische Weggefährtin. Die begeisterte Reaktion kommt prompt.

"Eine wahre Quelle von Genuss; Poesie, Leidenschaft, Innigkeit, voll der wunderbarsten Klangeffekte. Die Stücke sind, was Fingerfertigkeit betrifft, bis auf wenige Stellen nicht schwer. Aber die geistige Technik darin verlangt ein feines Verständnis …" (Clara Schumann)

Und genau das spornt die Pianistin Anna Gourari an, sich immer wieder mit Brahms' Fantasien zu beschäftigen.

"Man kann sie mit 18 spielen, man kann sie mit 28, mit 68 spielen. Und ich glaube sie werden reifer, sie werden besser, sie werden wie ein guter Wein, sie verbessern sich mit der Zeit und man bringt dann die ganzen Erfahrungen, die man im Leben gesammelt hat, mit." (Anna Gourari)

Musik-Info

Johannes Brahms : Fantasien op. 116

Anna Gourari, Klavier
BERLIN Classics, LC 06203

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