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Felix Mendelssohn Bartholdy Violinkonzert e-Moll op. 64

Alles andere als mühelos verlief die Entstehung des Violinkonzerts e-moll op. 64 von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sechs Jahre trug der rastlose Workaholic es im Kopf – und im Herzen. Und mit viel Herzblut ist es auch komponiert – und lässt gar nichts mehr ahnen von der Anstrengung, die es Mendelssohn gekostet hatte. Michael Atzinger stellt es zusammen mit der Geigerin Sarah Chang vor.

Porträt Felix Mendelssohn Bartholdy | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Die Sendung zum Anhören

"Ich denke in den nächsten Tagen das Aufschreiben meiner Sinfonie anzufangen, und in kurzer Zeit zu beendigen. Ich möchte dir wohl auch ein Violin-Concert machen für den Winter; eins in e-moll steckt mir im Kopfe, dessen Anfang mir keine Ruhe lässt." Nach diesem Brief Felix Mendelssohn-Bartholdys an den Geiger Ferdinand David im Sommer 1838 sollte noch so mancher Winter ins Land gehen, bevor es zur Uraufführung kam. Vielleicht wollte Mendelssohn es auch besonders gut machen – der Widmungsträger gehörte schließlich zu seinem engsten Freundeskreis: In Berlin waren die beiden zusammen aufgewachsen, oft war David zu Gast bei den Mendelssohn'schen Sonntagsmatineen. 1836, mit seiner Berufung zum Dirigenten des Gewandhausorchesters, hatte Mendelssohn seinen Altersgenossen als Kapellmeister nach Leipzig geholt.

Überraschung bei Isaac Stern

Die Geigerin Sarah Chang | Bildquelle: picture-alliance/ dpa | Valerie_Kuypers Sarah Chang | Bildquelle: picture-alliance/ dpa | Valerie_Kuypers Was ist denn nun das Besondere an diesem Anfang, der Mendelssohn über Jahre hinweg keine Ruhe ließ? Die Geigerin Sarah Chang erinnert sich an den Tag, an dem sie das Konzert dem großen Isaac Stern vorspielen musste: "Jedesmal, wenn ich zu ihm kam, war ich sehr gut vorbereitet. Ich hatte immer ganz viel Repertoire dabei, wenn ich bei ihm aufkreuzte. Eines Tages sagte er zu mir: 'Heute will ich sehen, wie Du Dich fühlst und wie Du reagierst, wenn Du nicht vorbereitet bist auf das, was kommt. Und dann ging er an seinen großen Schrank und nahm eine Partitur heraus, die er mir aber nicht zeigte. Er gab sie dem Pianisten und sagte nur zu mir: 'Nimm Deine Geige gleich, denn viel Zeit wirst Du nicht haben, bevor es losgeht. Und da ahnte ich: Das könnte Mendelssohn sein, denn so viele Stücke mit einem so knappen Entrée gibt es nicht. Und so hatte ich zumindest eineinhalb Sekunden Vorbereitungszeit, bevor der Pianist loslegte."

Schöner Zwischenfall der deutschen Musik.
Friedrich Nietzsche über über Mendelssohns Violinkonzert e-Moll

Der Geist der Wiener Klassik

Mendelssohns Violinkonzert: keine Bühne für große Virtuosenposen. Aber das bedauern nur die, die Mendelssohn immer schon in die große Romantik-Schublade stecken wollten. Denn mit ganz sparsamen harmonischen Mitteln und einer beinahe mozartisch anmutenden filigranen und grazilen Orchestertechnik lässt Mendelssohn hier noch einmal den Geist der Klassik aufleben. Und erweist sich als das, was Friedrich Nietzsche so unnachahmlich treffend beschrieb: "als schöner Zwischenfall der deutschen Musik".

Die perfekte Kadenz

Und wie um diese Beurteilung zu unterstreichen, schreibt Mendelssohn auch noch die Kadenz im 1. Satz selbst. Aber ist die verbindlich – oder kann man sich als Solist darüber hinwegsetzen? Noch einmal Sarah Chang: "Ich glaube, was dieses Konzert betrifft, halten sich alle Geiger an das, was Mendelssohn als Kadenz geschrieben hat. Bei Beethoven und Brahms ist das ganz anders. Da gibt es eine ganze Reihe von Kadenzen. Und wenn man die Wahl hat, sollte man sich auch die Freiheit nehmen, sich selbst für eine Kadenz zu entscheiden oder sogar eine eigene spielen. Mendelssohn hingegen hat wahrscheinlich viel Zeit darauf verwandt, sich eine Kadenz auszudenken; das sollte man honorieren." Noch dazu, wenn die Kadenz so perfekt in das Konzert eingepasst ist: nicht als virtuoser Drahtseilakt am Ende des Satzes, sondern schon am Ende der Durchführung.

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Beliebt wie kaum ein zweites Violinkonzert

Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll: alles andere als Virtuosenfutter. Und doch beliebt wie kaum ein zweites – beim Publikum und bei den Geigern: "Es ist ein wunderbares Werk", sagt Sarah Chang. "Es ist eines jener Stücke, die direkt ins Herz treffen. Es geht leicht ins Ohr, es ist überaus charmant. Ich habe es zum ersten Mal eingespielt, als ich noch sehr jung war. Ich habe es gern im Repertoire. Es macht mir einfach wahnsinnig viel Freude, wenn ich es von Zeit zu Zeit spiele."

In der glücklichen Vereinigung von geadelter Virtuosität und poetischer Bedeutsamkeit des Inhalts ist es bisher nicht überboten worden.
Arnold Schönberg über Mendelssohns Violinkonzert e-Moll

Zauber bis zum heutigen Tag

Der Geiger Ferdinand David. Holzstich, 1873, nach Photographie. | Bildquelle: picture alliance / akg-images Der Geiger Ferdinand David hob Mendelssohns Violinkonzert aus der Taufe. | Bildquelle: picture alliance / akg-images Das würde Felix Mendelssohn-Bartholdy sicher gern hören. Mehr als einmal hat er das Werk auf seinen Stapel unerledigter Kompositionen geworfen – entnervt, entmutigt, verzagt. Um es dann wieder hervorzuholen – und weiterzuschreiben. Auch weil ihn Ferdinand David immer wieder dazu anhielt. Gut so, denn das Werk hat seinen Zauber bis heute bewahrt. Und auch zwischendurch nicht verloren. So urteilte Arnold Schönberg: "Und wie man damals das Konzert Mendelssohns als eine Rettung aus der allmählich zur Unnatur gewordenen Formelhaftigkeit der Gattung begrüßte, so gilt es noch heute als Inbegriff höchster geigerischer Schönheit. In der glücklichen Vereinigung von geadelter Virtuosität und poetischer Bedeutsamkeit des Inhalts ist es bisher nicht überboten worden."

Triumphale Uraufführung

Die Uraufführung am 13. März 1845 in Leipzig war ein Triumph. Ferdinand David hatte wohl so gespielt, wie er es dem Komponisten versprochen hatte: "dass sich die Engel im Himmel freuen sollen." Sie freuten sich bestimmt – und sie freuen sich heute noch. Und die irdischen Konzertbesucher dazu.

Musik-Info

Felix Mendelssohn-Bartholdy: Konzert für Violine und Orchester e-Moll, op. 64

Sarah Chang (Violine)

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Mariss Jansons

Sendung: "Das starke Stück" am 01. März 2022, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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