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Arvo Pärt "Miserere"

Der estnische Komponist Arvo Pärt ist einer der prominentesten Komponisten der Gegenwart und komponiert gleichsam gegen unsere Zeit. Eine besondere Stellung innerhalb von Pärts Gesamtwerk nimmt das 1989 entstandene Werk "Miserere" für Solostimmen, Chor und Instrumentalensemble ein. Clemens Prokop hat über dieses faszinierende Werk mit Siegfried Mauser gesprochen.

Porträt Arvo Pärt | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das starke Stück

Pärts "Miserere"

Arvo Pärt komponiert zurückgewandt in die Welt der Gregorianik und der europäischen Renaissance, ist aber gleichzeitig Soundzulieferer für Filmemacher unserer Tage. Begonnen hat Pärt sein Musikschaffen unter dem Einfluss neoklassischer Strömungen und in der Nähe zum Minimalismus der 60er Jahre. Später wandte er sich davon ab und versuchte, in seiner Musik seine tief empfundene Religiosität zum Ausdruck zu bringen, losgelöst von den aktuellen musikalischen Moden und auch fernab aller esoterischer Einflüsse. Seine Musik wird spirituell, einfach und geheimnisvoll.

Pärts eigenes Zeitmaß

Wie schön darf Musik sein und wie verführerisch? Als Arvo Pärts Musik bekannt und populär wurde, war das plötzlich eine entscheidende Frage. Gestandene Kritiker ließen sich irritieren und provozeiren. Galt es doch als ausgemacht, dass man den modernen Zeiten nur mit noch komplexeren Kompositionen beikommen könne. Und dann komponiert Arvo Pärt "Miserere" und nimmt sich in der Musik so unendlich viel Zeit, dass mancher unruhig auf seinem Sessel zu wetzen beginnt.

Wer den Rhythmus einer Großstadt im Blut hat, für den muss Arvo Pärts halbstündiges "Miserere" eine quälende Unendlichkeit dauern. Weit über drei Minuten klagt zunächst der Tenor das Miserere, eine Klarinette tupft dazwischen, schafft mit provozierender Gelassenheit Platz und Leere zwischen den einzelnen Worten. Arvo Pärts "Miserere" ist nicht außer Zeit und Raum. Sie lebt ihr eigenes Zeitmass, schafft ihren eigenen Raum. Mit einfachsten Mitteln.

Im "Miserere" tritt die Radikalität besonders deutlich an den Tag. Denn weit subtiler noch als in anderen Kompositionen verwendet Pärt Intervall-Reibungen nicht als Spannungen, sondern als rein klangliche Elemente. Die Spannung wächst im "Miserere" aus der gewaltigen, vielleicht gewaltsamen Ruhe, bis sich nach knapp sechs Minuten erst die Sequenz der lateinischen Totenmesse entlädt: "Dies irae", Tag des Zorns.

Dramatische Imagination

Arvo Pärt hat keine Angst, nicht einmal vor Röhrenglocken, deren Klang ihn so gefährlich nahe zu Sakral-Kitsch trägt. Die sofort Assoziationen wecken. Die Bilder im Kopf entstehen lassen. Nur, das eine ist bei Pärt nie ohne das andere denkbar. Seine dramatische Imagination aufgeregt schlagender Kirchenglocken ist eng verknüpft mit seiner meditativen Versenkung in mönchische Tradition.

Es ist weder Kunst- noch Rück-Griff, sondern eine Frage des Bewusstseins. Gerade dort, wo Arvo Pärt Gregorianik anklingen lässt, wo er sie für sich weiter entwickelt, anstatt bloß zu zitieren, da gelingt ihm beides zugleich: Geschichts-Bewusstsein und eine wunderbare Zeitlosigkeit.

Ein Werk nach strengem Plan

In seiner Suche nach dem Innersten geht Pärt weiter als viele andere Komponisten, die wie er religiöse Erfahrungen, transzendente Zustände in ihren Werken verhandeln. Naiv ist seine Musik nicht, und auch das "Miserere" gehorcht einem strengen Plan. Der Miserere-Psalm und die Dies-irae-Sequenz sind in vier großen Teilen gruppiert. Die fünf Solisten, der Chor und die meist solistisch eingesetzten Instrumenten folgen dieser Teilung. So gewinnt Pärt auch musikalisch so etwas wie klar voneinander getrennte Kapitel, die untereinander vielfältig verbunden sind und einer ungeheuer subtilen Entwicklung gehorchen.

Musik-Info

Arvo Pärt: Miserere

The Hilliard Ensemble
Titel: Miserere

Label: ECM Records

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