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Peter Tschaikowsky Symphonie Nr. 5 e-Moll

Wenn über Musik gesprochen und geurteilt wird, gehen die Meinungen meist weit auseinander. Einen Sonderfall stellt dabei das Verhältnis eines Komponisten zu seinem eigenen Werk dar. Selbst in dieser engen Beziehung reicht die Bandbreite der Urteile von Eigenlob bis zu selbstkritischer Ablehnung. Auf Peter Tschaikowskys Bezug zu seiner Fünften Symphonie trifft wohl eher Letzteres zu – trotz mancher Publikumserfolge, die er damit verzeichnen konnte. Aber für den Dirigenten Andris Nelsons ist diese Symphonie ein "Starkes Stück", wie Katharina Neuschaefer im Gespräch mit ihm herausgefunden hat.

Der Komponist Peter Tschaikowsky. Foto, koloriert, um 1890  | Bildquelle: picture-alliance / akg-images

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"Nach jeder Aufführung komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass meine letzte Symphonie ein misslungenes Werk ist ...Es hat sich herausgestellt, dass sie zu bunt, zu massig, zu unaufrichtig, zu lang, überhaupt wenig ansprechend ist. Sollte ich mich schon ausgeschrieben haben? Sollte wirklich schon der Anfang des Endes begonnen haben?" Im Dezember 1888 schreibt Peter Tschaikowsky diese Zeilen an seine Brieffreundin Nadeshda von Meck. Gemeint ist seine 5. Symphonie, die "Schicksals-Symphonie", der musikalische Spiegel einer krisendurchbebten Zeit. Ist wirklich schon der Anfang des Endes über den 48-jährigen Komponisten hereingebrochen?

Tönendes Signum des Schicksals?

Aus künstlerischer Sicht befindet sich Tschaikowsky auf der Höhe seines Erfolgs. Als Dirigent ist er international gefragt, seine Kompositionen werden von Publikum und Kritik endlich anerkannt. Seelisch aber schwankt er zwischen Höhenflügen und tiefer Verzweiflung. Seine drei letzten Symphonien versieht er mit persönlichen Kommentaren, einer Art psychologischem Programm. Ebenso wie in der Vierten stellt Tschaikowsky auch seiner Fünften Symphonie ein tönendes Signum des Schicksals voran, das alle vier Sätze durchzieht. Der Komponist kommentiert dieses Schicksalsmotiv als "Vollständiges Sich-Beugen vor dem Schicksal oder was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung."

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Andris Nelsons beim Wiener Neujahrskonzert 2020 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Andris Nelsons | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der lettische Dirigent Andris Nelsons berücksichtigt in seiner Interpretation zwar Tschaikowskys persönliche Notiz, weist aber über sie hinaus: "Das ist vorbei, dass man sagt: In der Vierten Symphonie meint er das Schicksal, in der Fünften auch und die Sechste ist dann das Requiem. Aber ich denke, so ist es nicht. In seinem Leben gab es wie bei jedem unterschiedliche Momente und Gefühle. Ich glaube, es ist am besten, nicht alles in Worte zu zwängen und zu erklären. Er wollte im Grunde nicht genau sagen, worum es in dieser Musik geht. Gut, einiges hat er aufgeschrieben, aber Musik ist eben mehr als eine Notiz."

Ich glaube, es ist am besten, nicht alles in Worte zu zwängen und zu erklären.
Der Dirigent Andris Nelsons zum Programm von Tschaikowskys Symphonie Nr. 5

Schatten der Vorsehung

Gleich zu Beginn der Symphonie stellt Tschaikowsky das Schicksalsthema vor, intoniert von den Klarinetten, zum Klang der tiefen Streicher. Die düstere e-moll-Stimmung gleicht dem Schatten der Vorsehung. Obwohl dieses Motiv die gesamte Symphonie dominiert und in allen Sätzen präsent ist, ist es weder ein Erinnerungsmotiv noch eine Ideé fixe. Tschaikowsky gibt vielmehr schon mit den Anfangstakten die auswegslose Grundstimmung vor, die unausweichlich in der Erfüllung des Schicksals im letzten Satz gipfelt. Oder anders: Von vornherein gibt es kein Entrinnen. Beschwingte oder aufbrausende Abschnitte sind lediglich retardierende Momente.

Den langsamen Satz überschreibt Tschaikowsky mit der Frage "Soll man sich dem Glauben in die Arme werfen?" Melancholische Schönheit, und eine schwerelose Klarinettenmelodie, die zu versprechen scheint, dass alles gut wird. Fast ist alles gut, dann bricht das Schicksalsthema ein.

Das Finale erinnert an den Anfang

Dirigent Andris Nelsons | Bildquelle: dpa/Jan Woitas Andris Nelsons | Bildquelle: dpa/Jan Woitas Tschaikowskys eigenes und das Schicksal seiner 5. Symphonie scheinen besiegelt, dennoch: Im dritten Satz schreibt er einen Walzer. Seine persönliche Vorliebe für diese Form bricht auch in die todesschwangere Atmosphäre des Werks, wie ein Lichtstrahl ein. Fast ein wenig grotesk erscheint auch das Schicksalsmotiv zum Tanz.
Das Finale erinnert an den Anfang, aber die Stimmung ist trügerisch nach E-Dur aufgehellt. Auch hier wieder das Ringen zwischen Todesahnung und Lebenshunger. Triumphal erscheint das Schicksalsthema in den Blechbläsern und siegt, unterwirft sich alles. Aber ist es wirklich ein Sieg? Andris Nelsons sagt dazu: "Ich denke, es ist ein unerfülltes Finale. Es steht in E-Dur, trotzdem empfinde ich es so, dass der vierte Satz vom Anfang bis zur Apotheose der Tanz des Bösen ist. Das klingt jetzt sehr einfach, die Idee ist natürlich der Sieg des Schicksals, aber am Schluss gibt es einen Konflikt. Wir wissen nicht, wie Tschaikowsky sich entscheidet. Soll er weiterkomponieren? Soll er sterben? Dieser letzte Satz reflekiert die Konflikte seines Lebens."

Musik-Info

Peter I. Tschaikowsky:
Symphonie Nr. 5 e-Moll, op. 64


Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Andris Nelsons

(Eigenproduktion)

Sendung: "Das starke Stück" am 23. Februar 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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