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Igor Strawinsky Petruschka

Mit dem "Feuervogel", den Igor Strawinsky für Sergej Diaghilew und dessen Ballets Russes geschrieben hatte, war der Komponist quasi über Nacht berühmt geworden. Später kam dann die skandalöse Uraufführung von "Le sacre du printemps" – der Höhepunkt der kongenialen Zusammenarbeit zwischen Komponist und Ballettimpresario. Zwischen diesen beiden Tanzpartituren steht im Jahr 1911 "Petruschka". Ein raffiniertes Stück, in dem das Heitere plötzlich zum bitteren Ernst wird. Florian Heurich stellt gemeinsam mit dem Dirigenten Kent Nagano dieses Starke Stück vor.

Der Tänzer Waslaw Nijinski als Petruschka in Igor Strawinskys gleichnamigem Ballett. | Bildquelle: picture-alliance / akg-images

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Das starke Stück zum Anhören

Jahrmarktsgetümmel in Sankt Petersburg. Ein Puppenspieler betritt die Szene. Die Marionetten erwachen zum Leben. Zwischen Petruschka, einer Ballerina und einem Mohren entspinnt sich ein Spiel um Verführung und Eifersucht, das tödlich endet.

So lässt sich die Handlung von Igor Strawinskys Ballett "Petruschka" kurz zusammenfassen. In diesem Werk mischt sich das ganz reale Leben auf dem Jahrmarkt mit dem Spiel der Marionetten, wobei aus dem anfänglichen Puppentheater schließlich eine wirkliche Tragödie wird. Den Jahrmarkt schildert Strawinsky durch Anklänge an russische Volkstänze sehr anschaulich. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischen jedoch, wenn aus den Puppen richtige Menschen zu werden scheinen.

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Elemente der russischen Volkskultur

Der Komponist Igor Strawinsky. Porträtaufnahme von 1927. | Bildquelle: picture-alliance / RIA Nowosti Der Komponist Igor Strawinsky. Porträtaufnahme von 1927. | Bildquelle: picture-alliance / RIA Nowosti "Natürlich ist das ein Werk der 'Ballets Russes'-Periode von Strawinsky", erklärt Kent Nagano. "Und natürlich gibt es eine Menge Bewegung, denn das Werk ist ja für Tanz konzipiert. Das Besondere ist, dass man die russische Volkskultur darin fühlen kann. Die Tänze sind völlig anders als das, was wir von der europäischen Kultur gewohnt sind oder, in meinem Fall, von der amerikanischen Kultur. Nehmen wir zum Beispiel die Introduktion. Die hohen Holzbläser haben das Thema. Früher, als ich noch Student war, habe ich das sehr rhythmisch, präzise und mit einem ziemlich virtuosen Tempo gespielt. Doch mit der Choreographie sieht man, dass die hohe Holzbläsermelodie Kinderstimmen repräsentiert. Und die sind zwar sehr rhythmisch und unglaublich energiegeladen, aber eben auch cantabile intoniert. Also das hat schon eine Bedeutung, was für einen Ton man benutzt und wie der Ton gehalten wird."

Tragödie und Ironie

Auf die reale Volksfestszenerie folgt das Kammerspiel der Puppen. Petruschka, "der ewig unglückliche Held aller Jahrmärkte in allen Ländern", wie Strawinsky ihn nennt, versucht die Ballerina für sich zu gewinnen. Diese interessiert sich jedoch mehr für den Mohren. Es kommt zum Kampf zwischen den beiden Rivalen. Kent Nagano sagt dazu: "Wie wir wissen, ist 'Petruschka' eine Tragödie – traurig und bitter. Das Stück ist aber auch ironisch und hat etwas mit dem Schicksal zu tun. Die Persönlichkeiten hinter dieser Geschichte sind sehr komplex. Man kann alle diese komplizierten Ebenen der Emotionen, der Handlung und der verschiedenen Perspektiven durch die Musik von Strawinsky realisieren."

Man merkt: Das sind schon Marionetten – und nicht zu hundert Prozent Menschen.
Kent Nagano

Spiel mit verschiedenen Ebenen

Dirigent Kent Nagano | Bildquelle: Felix Broede Der Dirigent Kent Nagano | Bildquelle: Felix Broede Sind es wirkliche Menschen, die sich da lieben, hintergehen und bekämpfen? Oder sind es doch nur Marionetten? Wenn sich die Bühne weitet vom kleinen Puppentheater mit Pappkulissen zu Petruschkas Kammer und dem luxuriösen Salon des Mohren, dann meint man mitten im Geschehen zu sein. Strawinsky spielt mit den verschiedenen Realitätsebenen. "Ich denke da jetzt an den kleinen Walzer zwischen der Ballerina und dem Mohren", erläutert Kent Nagano. "Natürlich ist es ein Walzer, aber er ist so konstruiert, dass man ihn sehr eckig und mechanisch klingen lassen kann. Von Zeit zu Zeit fühlt man einen Klick, sozusagen einen mechanischen Moment, und man merkt: Das sind schon Marionetten. Und nicht zu hundert Prozent Menschen."

Reale Leierkastenmelodie

Dieser Walzer, von dem Nagano hier spricht, ist inspiriert von einem Stück des Österreichers Joseph Lanner. Zur Schilderung des Volkslebens verarbeitet Strawinsky reale russische Tänze und Weisen. Sein Anspruch auf Realismus ging sogar so weit, dass er einem Leierkastenspieler vor seiner Wohnung eine Melodie abgelauscht hat. Dieses Stück entpuppte sich jedoch als Schlager eines anderen, noch lebenden Komponisten. Die höchst reale Konsequenz: Strawinsky musste fortan Tantiemen bezahlen.

Was ist Schein, was ist Sein?

Wenn am Ende Petruschka vor den Augen des entsetzten Publikums vom Mohren erstochen wird, dann macht Strawinsky daraus eine sehr anrührende Sterbeszene. Sofort werden die Zuschauer jedoch in die Jahrmarktsrealität zurückgeholt. Zum Schluss gibt es aber nochmals eine Pointe: Petruschka kehrt als Geist zurück.

Was ist Schein, was ist Sein? War wirklich alles nur ein Spiel? Eine "Burleske", wie Strawinsky sein Ballett nennt? Waren es nun Menschen oder Marionetten, die man gesehen hat? "Kann man dieses Marionetten-Gefühl manchmal spüren, in der Art, wie die Musik geschrieben ist?", fragt Kent Nagano abschließend. Er ist sich sicher: "Absolut kann man das spüren."

Musik-Info

Igor Strawinsky:
"Petruschka". Burleske Szenen in vier Bildern für Orchester


London Symphony Orchestra
Leitung: Kent Nagano

Label: Warner

Sendung: "Das starke Stück" am 11. Dezember 2018, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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