BR-KLASSIK

Inhalt

Beethovens Siebte im Vergleich – Currentzis oder FBO? Optimierte Schwarmintelligenz oder hipper Maestro?

Aufnahmen von Beethovens 7. Symphonie gibt es wie Sand am Meer. Vom Originalklangpionier bis zum symphonischen Breitwandkino ist jede erdenkliche Nuance vertreten. Wenn Teodor Currentzis in seiner Neuaufnahme den Taktstock schwingt, bebt die Erde und der Himmel reißt auf. Der Outlaw ist vom einstigen Insidertipp zum hippen Star mutiert. Mancher spricht aber auch von altem Wein in neuen Schläuchen. Vor ein paar Wochen ist auch noch die Siebte mit Gottfried von der Goltz und dem Freiburger Barockorchester erschienen. Eine gute Gelegenheit, beiden in einem Vergleich auf den Zahn zu fühlen.

Ludwig van Beethoven. Zeichnung | Bildquelle: picture alliance / Photo12 / Ann Ronan Picture Library

Bildquelle: picture alliance / Photo12 / Ann Ronan Picture Library

Magische Momente. Zum Beispiel, wenn Anfang des zweiten Satzes die tieferen Streicher ein Pianissimo hinhauchen, schon nahe der Unhörbarkeitsschwelle. Die Spannung ist förmlich greifbar. Hörer wie Musikerinnen sitzen gleichermaßen ganz vorn auf der Stuhlkante, die Ohren gespitzt und hellwach. Und genau das ist die eigentliche Leistung von Teodor Currentzis. Im Klassikbetrieb lässt man sich zwar gerne anregen, aber meist innerhalb der Grenzen des eigenen Wohlfühlbereichs. Currentzis geht darüber hinaus und sorgt für eine Präsenz, die ihresgleichen sucht.

Keine heiligen langsamen Tempi

Theodor Currentzis und musicAeterna bei den Salzburger Festspielen mit Beethovens Neunter | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli Theodor Currentzis und MusicAeterna | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli Musikalisch notwendig ist ein solches Extrem selbst beim Kontraste liebenden Beethoven allerdings nicht. Das belegt auch die erst vor ein paar Wochen erschienene Aufnahme der Siebten Symphonie mit dem Freiburger Barockorchester. Es gibt viele Gemeinsamkeiten und genauso viele Unterschiede. Originalinstrumente, klar, aber die sorgen in beiden Fällen für ein völlig anderes Klangbild. Bei Currentzis und MusicAeterna zugespitzt präzise und dezidiert dynamisch, bei den Freiburgern sehr dicht und mit großem Farbreichtum. Jede Variante ist auf ihre Weise ausgesprochen transparent und bis in die kleinste Phrase ausgestaltet. Gleiches gilt für den generellen Zugang. Die einst heiligen langsamen Tempi gehören der Geschichte an, das Allegretto darf auch nach Allegretto klingen und versinkt nicht in einer vorgeblichen Feierlichkeit. Die vielen Fortissimi und Akzentuierungen sind kräftig und energisch, ohne ins monumental Gewaltige abzugleiten. Die gerade in der Siebten Symphonie so wichtige Rhythmik entfaltet sich federnd und voller Drive, nicht steif und brachial.

Natürliche Musikalität

Das Freiburger Barockorchester leitet Gottfried von der Goltz vom Konzertmeisterpult aus, es gibt also keinen konventionellen Dirigenten. Möglich ist das, weil die Musiker*innen sich gegenseitig sowie ihr Handwerkszeug in- und auswendig kennen. Jeder ist sich seiner eigenen Verantwortung voll bewusst und spielt sie auch aus. Heraus kommt eine ganz natürliche Musikalität, die das Werk einfach so wirken lässt, wie es ist. Eine Art optimierte Schwarmintelligenz also. Teodor Currentzis dagegen ist der Prototyp eines Maestros des 21. Jahrhunderts. Auch hier ist jeder und jede Einzelne im Orchester zum Höchsteinsatz motiviert. Currentzis reißt seine Leute mit und auch das Publikum. Er hat den hörbaren Willen zur Gestaltung im ganz klassischen Sinne, wenn auch mit Mitteln und dem Kenntnisstand der heutigen Zeit.

Künstlerische Ausnahmeklasse

Freiburger Barockorchester | Bildquelle: FBO / barockorchester.de Das Freiburger Barockorchester | Bildquelle: FBO / barockorchester.de Eine Steilvorlage für Publicity und Szenetalk. Nicht nur seine Person gibt genügend Gesprächsstoff her, auch die markanten Details der Interpretationen lassen sich trefflich aufgreifen und diskutieren. Wohlverstanden auf einem Niveau der künstlerischen Spitzenklasse. Diese Aufnahme von Beethovens Siebter Symphonie verschlägt einem förmlich den Atem. Allerdings: Die Freiburger bewegen sich auf genau derselben Höhe, weniger spektakulär, dafür ist die musikalische Substanz noch etwas nachhaltiger. Dabei ist keiner besser oder schlechter. Die beiden Neuerscheinungen zeigen gerade als Doppelpack sehr gut, wohin sich die Interpretationsansätze von Beethovens Musik in neunzig Jahren Tonträgergeschichte verlagert haben.

Infos zu den CDs

Ludwig van Beethoven:
Symphonie Nr. 7 A-Dur, op. 92

1) MusicAeterna
Leitung:Teodor Currentzis
Label: Sony Classical

2) (+ Die Geschöpfe des Prometheus-Ballettmusik op. 43)
Freiburger Barockorchester
Leitung: Gottfried von der Goltz
Label: Harmonia Mundi

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player