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Was heute geschah – 04. November 1947 Schweigen zu Felix Mendelssohn und Jenny Lind

London, 4. November 1947: Die Bombe platzt nach dem Dinner. Die Mitglieder der Mendelssohn Scholarship Foundation haben gerade den letzten Bissen heruntergeschluckt, als sich Sir Rande Holme von seinem Stuhl erhebt. Der Rechtsanwalt und Ehrenschatzmeister der Foundation hat Neuigkeiten. Es ist der 100. Todestag von Felix Mendelssohn Bartholdy. Und genau heute läuft die Frist ab. Die Frist des Schweigens.

Die Sopranistin Jenny Lind als Armina in Bellinis "La Sonnambula" | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library

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Felix Mendelssohn und die Sopranistin Jenny Lind – ein Liebespaar? Rande Holme hält ein Memorandum doch, das jahrzehntelang im Tresor seiner Kanzlei geschlummert hat. Demnach hat man im Jahr 1887, als Jenny Lind starb, in ihrem Schreibtisch versteckte Briefe entdeckt: Liebesbriefe von Felix Mendelssohn. Er, glücklich verheiratet und Vater von fünf Kindern, bat sie, mit ihm zu fliehen, ein neues Leben zu beginnen. Er drohte sogar mit Selbstmord. Entsetzt über den hochexplosiven Fund verbrannte man nach dem Tod der Sängerin alle Beweisstücke. Mendelssohns Bild als Lichtgestalt der Romantik sollte nicht beschädigt werden. Alle hielten sich an die Abmachung – bis auf einen: der Anwalt von Jenny Linds Ehemann Otto Goldschmidt. Er setzte heimlich ein Memorandum auf, in dem er alles schriftlich festhielt – und versteckte es.

Schwärmerische Worte

Was ist eigentlich dran an dem Gerücht über Felix Mendelssohn und Jenny Lind? Was wissen wir wirklich? Kennengelernt haben sich die beiden im Jahr 1844. Jenny Lind, die "schwedische Nachtigall", war damals 24 Jahre alt und noch am Anfang ihrer Karriere. Sicherlich hatte sie eine Schwäche für Mendelssohn. "Oh, dieser Felix Mendelssohn! Wie hat er mich entzückt!", schwärmte die Sängerin in einem Brief an einen befreundeten Musiker. Ihrer Freundin Mathilde Arnemann vertraut sie ein Jahr später an: "Natürlich, er ist verheiratet... Doch tief in meinem Herzen fühle ich, wieviel dieser Mann mir bedeutet, und es ist wahr, wenn ich Dir sage: Keinen anderen Mann! ... Zu keinem anderen Menschen fühle ich mich so hingezogen wie gerade zu ihm."

Felix Mendelssohn Bartholdy, 1835 | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library Felix Mendelssohn Bartholdy | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library Und Mendelssohn? Er war Mitte 30, ein berühmter Komponist und seit sieben Jahren glücklich mit Cecile verheiratet. Er förderte die junge Sängerin, trat mit ihr gemeinsam auf und arrangierte auch seine Konzertauftritte in England so, dass sie sich begegnen konnten. Cecile begegnete Jenny Lind durchaus reserviert. Ahnte sie, dass ihr Mann sich womöglich neu verliebt hatte? Ob Liebe oder nicht, eine Art Seelenverwandtschaft hat die beiden sicherlich verbunden. Zu Weihnachten 1845 schickte Mendelssohn ein Liederheft an Jenny Lind – mit dem Zusatz: "Was mich betrifft so wissen Sie, daß ich an jedem fröhlichen Fest, und an jedem Tage mein Leben lang Ihnen gedenke, und daß Sie Ihren Anteil davon nehmen müssen, Sie mögen wollen oder nicht. Sie wollen es aber, und Sie wissen von mir, daß es mir eben so geht, und das wird nimmermehr anders." Wollte Mendelssohn ein Leben an Jenny Linds Seite? Wollte sie es? Wie auch immer, es kam nicht dazu: Mendelssohn starb im November 1847.

Alle Beweise sind verschwunden

Fünf Jahre später heiratete Jenny Lind Otto Goldschmidt. Und dessen Anwalt war derjenige, der nach der Brief-Verbrennung damals heimlich jenes Memorandum verfasste. Mit dem Beweisstück steht jetzt der Sohn des Anwalts vor den sprachlosen Mitgliedern der Foundation steht. Schluss mit der Vertuscherei? Keineswegs. Wieder entscheidet man sich zu schweigen. Es dauert nochmal ein halbes Jahrhundert, bis die Öffentlichkeit davon erfährt. Beweise gibt es übrigens keine mehr: Inzwischen ist nämlich auch das ominöse Memorandum aus dem Tresor verschwunden.

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch 7:40 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 04. November 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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