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Was heute geschah – 28. Januar 1936 Die "Prawda" beginnt Kampagne gegen Schostakowitsch

Moskau, 28. Januar 1936. In der Tageszeitung "Prawda" erscheint der Artikel "Chaos statt Musik", der sich konkret gegen die Musik Dmitrij Schostakowitschs richtet. Damit beginnt der stalinistische Terror gegen den Komponisten. Der bis dahin vom Erfolg verwöhnte Schostakowitsch wird fortan keine ruhige Minute mehr haben.

Dmitrij Schostakowitsch, Karikatur von 1933 | Bildquelle: Lothar Seehaus: "Dmitrij Schostakowitsch. Leben und Werk", Wilhelmshaven 1986

Bildquelle: Lothar Seehaus: "Dmitrij Schostakowitsch. Leben und Werk", Wilhelmshaven 1986

Die Sendung zum Anhören

Das Unheil zeichnet sich schon ein paar Tage vorher ab – bei einer Aufführung im Bolschoi-Theater: Schostakowitsch wischt sich den Schweiß von der Stirn. Nervös schielt er immer wieder rüber in die Regierungsloge zu Stalin. Mit versteinerter Miene verfolgt der Diktator die Oper "Lady Macbeth von Mzensk", die in der Sowjetunion bereits vielfach gefeiert wurde. Doch Stalin wirkt nicht begeistert.

Unseliger Tabubruch

Während Schostakowitsch Blut schwitzt, langweilt sich Katerina Ismailowa, die Hauptfigur seiner Oper, zu Tode. Sie wirft sich dem Arbeiter Sergei in die Arme. Ehebruch, Mord, Lüsternheit und Vergewaltigung – das alles passt nicht in das Bild vom glücklichen sowjetischen Volk. Die Oper widerspricht in jeder Hinsicht Stalins Vorstellungen. Für diesen Tabubruch soll Schostakowitsch bezahlen: "Chaos statt Musik" steht über dem Artikel, der zwei Tage später, am 28. Januar 1936, in der "Prawda" erscheint, der mächtigsten Zeitung des Landes und Sprachrohr der kommunistischen Partei.

Gepolter, Geprassel und Gekreisch

Jetzt wird mit Schostakowitsch abgerechnet: "Das ist 'linksradikale' Zügellosigkeit anstelle einer natürlichen, menschlichen Musik", ist zu lesen. Schostakowitschs Oper widerspricht dem sozialistischen Realismus. Die Musik wird als "disharmonische, chaotische Flut von Tönen" bezeichnet. Sie sei grob und primitiv. Die Rede ist von "Gepolter, Geprassel und Gekreisch", von "wahnwitzigem Rhythmus" und "Kakophonie". Und irgendwann dann der ominöse Satz: "Dieses Spiel kann böse enden."

Eine Eindruck von der "Lady Macbeth" – dirigiert von Kirill Petrnko

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Trailer LADY MACBETH VON MZENSK | Conductor: Kirill Petrenko | Bildquelle: BayerischeStaatsoper (via YouTube)

Trailer LADY MACBETH VON MZENSK | Conductor: Kirill Petrenko

Ein zweiter böser Artikel

Schostakowitsch versteht die Drohung. Ab jetzt leidet er unter permanenter Angst. Ihn quälen Selbstmordgedanken. "Meine Vergangenheit war ausgestrichen. Und die Zukunft bot keinen Hoffnungsschimmer", resümiert er später. Wenige Tage später folgt der nächste Artikel. Diesmal geht es gegen sein Ballett "Der helle Bach". "Jetzt wusste jeder, dass ich dran glauben musste", fasst der Komponist die Situation treffend zusammen.

Die Angst bleibt

Schostakowitsch rechnet stündlich damit, verhaftet zu werden. Er schläft in Straßenkleidung, den Koffer fertig gepackt neben dem Bett. Zwei Mal wird er zum Verhör geladen. Doch während andere Künstler in dieser Zeit exekutiert werden, bleibt Schostakowitsch verschont. Zwei Jahre dauert die Prawda-Kampagne und die damit verbundene "Säuberungsaktion" in der sowjetischen Kunst. Die Angst aber soll Schostakowitsch auch danach nie wieder verlassen. Er beginnt zu trinken und komponiert weiter, nur um etliche Werke immer kurz vor der Uraufführung wieder zurückzuziehen.

WAS HEUTE GESCHAH

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7.40 Uhr und um 16.40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 28. Januar 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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