BR-KLASSIK

Inhalt

Was heute geschah – 29. Juni 1960 Schostakowitsch soll in die KPdSU eintreten

Moskau, 29. Juni 1960: Dmitrij Schostakowitsch soll er sich offiziell zu Nikita Chruschtschow bekennen. Doch die feierlich geplante Aufnahme des unbequemen Komponisten in die KPdSU fällt anders aus als es sich die Partei vorgestellt hatte ...

Dmitrij Schostakowitsch | Bildquelle: Krzysztof Meyer: "Schostakowitsch. Sein Werk, seine Zeit", Bergisch Gladbach 1995

Bildquelle: Krzysztof Meyer: "Schostakowitsch. Sein Werk, seine Zeit", Bergisch Gladbach 1995

Was heute geschah – 29.06.1960

Das Kalenderblatt anhören

Dmitrij Schostakowitsch ruft seinen Freund Isaac Glikmann an und bittet ihn sofort zu kommen. Dmitrijs Gesichtsausdruck sei voller Leiden, Besorgnis und Verunsicherung gewesen. Der Komponist fiel aufs Sofa und begann laut zu weinen. Er durchlebte einen Anfall schwerer Hysterie. Nach einer Stunde legt sich der Anfall. Schostakowitsch erzählt Glikmann, dass er gezwungen wird, in die Partei einzutreten. Bislang konnte er sich immer dagegen wehren. Er galt vor allem in den Kreisen der russischen Intelligenz als ein Mann, der außerhalb des Systems stand. Sogar unter Stalin. Nun soll er sich offiziell zu Nikita Chruschtschow bekennen.

Der Parteineuling – "plötzlich erkrankt"

Man lockt ihm mit dem Satz: "Unter ihm lässt es sich leicht und frei atmen.“ Schostakowitsch fühlt sich hingegen so, als ob man ihm die Kehle zuschnürt. Er fühlt sich verfolgt und trinkt fast eine ganze Flasche Wodka. Und lallt. Mit einem Zitat aus Puschkins "Zigeuner“ fasst er den Entschluss: "Es gibt keine Flucht vor dem Schicksal.“ Ja, er tut, was ihm befohlen! Die Propagandamaschinerie nutzt das sofort aus - endlich ist der schwierige Schostakowitsch einsichtig geworden.

Feierlich wird seine Aufnahme in die KPdSU angekündigt, Gäste eingeladen, Reden vorbereitet. Einziges Problem: Das schwarze Schaf Schostakowitsch erscheint nicht zur Versammlung. Es wird etwas von "plötzlich erkrankt“ gestammelt, tatsächlich aber wissen nun auch die letzten Zweifler, dass Schostakowitsch zu diesem politischen Schritt gezwungen wurde. Und doch ist der Druck immens. Schostakowitsch kann sich nicht entziehen, da hilft der Wodka nicht.

Dank an die Eltern

Sein nächster Termin ist der 14. September 1960. Schostakowitsch liest den von der Partei vorbereiteten Text – Flüsternd, gehorsam. Nur am Ende kann er sich nicht mehr beherrschen: "Alles was in mir gut ist, verdanke ich …" Eigentlich müsste nun der Standardtext folgen: "... der kommunistischen Partei“.

Aber Schostakowitsch vollendet den Satz mit den Worten: "... meinen Eltern“. Weinend verlässt er den Saal. Die Presse berichtet am darauffolgenden Tag nüchtern: "Der bekannte sowjetische Komponist Dmitrij Schostakowitsch wurde als Kandidat in die Kommunistische Partei der Sowjetunion aufgenommen!“

WAS HEUTE GESCHAH

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7.40 Uhr und um 16.40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 29. Juni 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player