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Zeitreise - Die lustige Witwe Lehárs Operetten-Klassiker am Gärtnerplatztheater

Zur Geschichte des Gärtnerplatztheaters gehört sie einfach dazu: Franz Lehárs Operette "Die lustige Witwe", die am 6. Oktober 1906 am Haus die erste von vielen Premieren feierte. Seitdem wurde sie ein Dutzend Mal neuinszeniert. Eine Erfolgsstory mit Höhen und Tiefen.

Das Münchner Operettentraumpaar Gisela Fischer und Rudolf Seibold in Lehárs "Die Lustige Witwe" 1906 | Bildquelle: Deutsches Theatermuseum München

Bildquelle: Deutsches Theatermuseum München

"Ah, das war eine köstliche Zeit!", erinnerte sich Rudolf Seibold, der erste Münchner Danilo, an die umjubelte Premiere von "Die lustige Witwe". Am 30. Dezember 1905 war sie in Wien uraufgeführt worden, am 6. Oktober 1906 feierte sie in München Premiere. Und für den gebürtigen Wiener Seibold war das der Durchbruch als Operettenbonvivant und Publikumsliebling: 250 Mal wurde die Inszenierung aufgeführt. Für das Gärtnerplatztheater war "Die lustige Witwe" ein wirtschaftlicher Segen - wie für alle anderen Bühnen auch, denen Lehárs Operette oft jahrelange Serienaufführungen bescherte.

Ah, das war eine köstliche Zeit!
Rudolf Seibold

Operette als Jugendkult

Dabei war die "Lustige Witwe" von der Münchner Presse nicht gerade herzlich empfangen worden: "Zwei Schlager in drei Akten genügen heute schon, um den Verfassern Schlösser im Wiener Wald zu finanzieren", konnte man dort nachlesen. Schuld sei die geistige Anspruchslosigkeit der goldenen Jugend, die die modernen Operettentheater mit Vorliebe frequentiere, schrieb der Autor weiter.

Franz Lehár am Klavier | Bildquelle: picture-alliance/dpa Erfolgskomponist Franz Lehár | Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Operette war offensichtlich Jugendkult. Nicht umsonst war Rudolf Seibold ihr Idol. Und für ihn gab es - trotz und wegen seiner Jugendlichkeit - Lob: "Seine glänzende Leistung als Danilo ließ nichts zu wünschen übrig, als höchstens ein etwas gereifteres Aussehen. In der Operette schadet aber zu große Jugendlichkeit am wenigsten!" Seine Partnerin war Gisela Fischer. Die Münchner Neusten Nachrichten schwärmten von ihrer "ungeschminkten Urwüchsigkeit und sympathischen Weiblichkeit", die wie geschaffen seien für die Titelrolle in Lehárs "Lustiger Witwe". Mit Rudolf Seibold bildete Gisela Fischer seitdem das Traumpaar der Münchner Operettenwelt. Ein Höhepunkt dieser Ära wurde die 150. Vorstellung am 19. April 1907, die Franz Lehár selbst dirigierte.

Mit der ersten Neuinszenierung in den Bankrott

23 Jahre waren seit der Münchner Erstaufführung vergangen, als 1929 die erste Neuinszenierung herauskam. Schließlich war das Gärtnerplatztheater ein Haus, das fast ausschließlich Novitäten spielte und die Operette war damals die aktuellste Theatergattung. Eine Neuinszenierung einer alten Operette wie der "Witwe" war da nicht vorgesehen oder eher ein Krisensymptom. Und tatsächlich ging das Theater kurz nach der ersten Neuinszenierung der "Witwe" Bankrott. Die neue Direktion versuchte es 1935 mit einer zweiten Neuinszenierung und musste bald darauf ebenfalls aufgeben. Dann wurde das Haus verstaatlicht und zur Staatsoperette des Dritten Reichs.

Für den linientreuen Intendanten Fritz Fischer war seine "Lustige Witwe" von 1938 "die wohl berühmteste Inszenierung, die das Gärtnerplatztheater je gesehen hat". Zur Vorstellung kam auch Hitler nach München und konnte Johannes Heesters bewundern, der zum ersten Mal den Danilo spielte - eine Entdeckung von Fritz Fischer: "Ein Danilo vom Scheitel bis zur Sohle: Das war Johannes Heesters. Und den hab ich dann auch engagiert. Als er kam, hab ich ihm gesagt: 'Der Trick ist der. Ihr Frack kann so sitzen, der Hut so, popeln Sie in der Nase, kratzen Sie sich am Arsch, aber seien Sie ganz locker und natürlich.'"

Tatsächlich hat Fischers Revueversion der "Lustigen Witwe" mit dem ersten Auftritt von Johannes Heesters in seiner Paraderolle des Grafen Danilo Theatergeschichte geschrieben. Die Aufführung erreichte ähnliche Aufführungsziffern wie die Erstaufführung 30 Jahre zuvor. Besonders angetan vom Publikumserfolg seiner Lieblingsoperette war Adolf Hitler. Er soll die Aufführung siebenmal gesehen haben.

Keine Erfolgs-Inszenierung in der Nachkriegszeit

Die erste Nachkriegsproduktion im Gärtnerplatztheater vom 25. Januar 1952 stammt von Eduard Rogatis. Einem Operetten-Chirurg, wie ihn der Komponist Edmund Nick bezeichnete, weil er der mittlerweile 47 Jahre alten "lustigen Witwe" allzu glatte Gesichtszüge verpasst habe, deren maskenhafte Starre einen kalt ließen. Schon sechs Jahre später kam die zweite Nachkriegs-"Witwe", über die dann in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war, dass Intendant Duvoisin aus der Meisteroperette ein Musical machen wolle. Ebenfalls ein falscher Weg. Übermächtig schienen die Schatten von Fritz Fischers legendärer Revuefassung von 1938 über jeder Gärtnerplatz-Witwe zu schweben. Die 50er-Jahre-Versionen gefielen offensichtlich nicht. Schon am 29. März 1963 kam die nächste Produktion. Im Münchner Merkur schrieb Helmut Schmidt-Garre:

"Alles, was wir am Gärtnerplatztheater lieben, seine Frische, seinen künstlerischen Elan, seinen Hang zum Verspielten, Leichten, sind an diesem Abend wie weggeblasen." Kritik zur Inszenierung im März 1963

Heesters mit Margit Schramm 1964 in einer seiner berühmtesten Rollen in der Operette "Die lustige Witwe" | Bildquelle: picture-alliance/dpa Johannes Heesters und Margit Schramm - 1964 in "Der lustigen Witwe" | Bildquelle: picture-alliance/dpa Obwohl Margit Schramm die Titelpartie sang, war auch dieser dritten Nachkriegsinszenierung kein Erfolg beschieden. Und so nahm Kurt Pscherer, Intendant von 1964 bis 1982, Lehárs 100. Geburtstag zum Anlass, um am 16. Januar 1970 eine neue "Witwe" herauszubringen. Die vierte innerhalb von 18 Jahren und, wie Karl Schumann in der SZ feststellte, ganz in der Tradition des Hauses. Obwohl Pscherer Schreckensbilder von der damals aktuellen Hunger-Katastrophe aus Biafra projizierte. Mit 176 Vorstellungen war Pscherers Version die mit Abstand erfolgreichste Nachkriegs-"Witwe".

Hellmuth Mattiaseks übernahm die Intendanz am Gärtnerplatztheater von 1983 bis 1996. Seine "Lustige Witwe" spielte in einer gläsernen Art-déco-Halle, die Bühnenbildner Jörg Zimmermann auf die Bühne gezaubert hat, aber überzeugen konnte die Verlegung ins Art déco letztlich nicht. Die Figuren hingen förmlich in der Luft. Auf den Boden der heruntergekommenen Gegenwart eines modernen Balkanstaats kamen sie dann in der letzten "Witwe" am Gärtnerplatz. Ulrich Peters hat mit dieser Produktion 2007 seine Intendanz eröffnet, inszeniert hat jedoch nicht er, sondern Jan-Richard Kehl. Dem mit Tilmann Unger und Heike Susanne Daum zwar ein schönes Paar zur Verfügung stand, sonst aber wenig gelang.

Wird die "Witwe" am Gärtnerplatztheater nun wieder lustig?

Den absoluten Tiefpunkt erlebte die Witwe allerdings am 23. Januar 2000, als Regisseur Franz Winter eine "geriatrische" Version mit der Rollendebütantin und Wagner-Heroine Hildegard Behrens versuchte und krachend scheiterte. Nach bombastischen Buhs aus dem Publikum resümierte die Süddeutsche Zeitung:

Jetzt darf die Witwe wieder Trauer tragen.
Süddeutsche Zeitung zur Inszenierung im Januar 2000

Schon elf Mal hatte "Die lustige Witwe" seit ihrer Uraufführung 1905 in diesem Haus Premiere. Seit 1938 war sie allerdings nie wieder wirklich lustig gewesen. Am 19. Oktober 2017 präsentiert Josef E. Köpplinger nun eine neue Version - zur Wiedereröffnung des Gärtnerplatztheaters nach der Renovierungsphase. BR-KLASSIK überträgt live im Radio.

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