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Kent Nagano über "Stilles Meer" Fukushima auf der Opernbühne

Wie gehen Menschen mit Katastrophen um? Das ist Thema der Oper "Stilles Meer" von Toshio Hosokawa, die an der Staatsoper Hamburg uraufgeführt wird, fünf Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima. Am Dirigentenpult steht Kent Nagano.

 Dirigent Kent Nagano | Bildquelle: Astrid Ackermann

Bildquelle: Astrid Ackermann

BR-Klassik: Wie kann man so etwas wie eine nukleare Katastrophe auf die Opernbühne bringen? Und geht damit auch ein politisches Moment einher: Möchten Sie damit etwas verändern, etwas bewirken, in den Menschen ein Nachdenken auslösen?

Kent Nagano: Es gibt verschiedene Arten, solch ein Sujet auf die Bühne zu bringen. Als einfache Geschichte. Oder als hochpolitische Untersuchung, also warum ist das gekommen, wer ist schuld und was war dann die politische Reaktion. Kann eine spannende Diskussion sein. Interessanterweise haben Regisseur Oriza Hirata und Komponist Toshio Hosokawa weder das eine noch das andere gewählt. Sie stellen die persönlichen Traumata und die Auswirkungen auf das Volk in den Mittelpunkt. Aus den Köpfen der Amerikaner und der meisten Europäer ist die Geschichte verschwunden; wir verfolgen das nicht mehr in den Nachrichten. Aber trotzdem wissen wir, insbesondere auch in Fukushima, dass das Desaster noch nicht zu Ende ist. Die Strahlung bleibt weiter sehr gefährlich. Diese Radioaktivität verseucht noch immer regelmäßig die Natur. Es ist noch nicht 100 Prozent unter Kontrolle. Und es ist ganz klar, dass die Leute noch nicht in ihre Heimat zurückgehen dürfen. Was passiert also gesellschaftlich, mit der Kultur, und mit den Menschen und ihrer Psyche? Das ist der Kern, dem Hirata und Hosokawa in dieser Oper nachgehen.

BR-KLASSIK: Was mögen Sie an der Musik von Toshio Hosokawa? Können Sie diese ein bisschen beschreiben?

Kent Nagano: Ich kenne den Komponisten sehr lange. Auch der Hamburger Intendant Georges Delnon hat eine lange Beziehung zu ihm. Aber nicht nur deshalb arbeiten wir mit ihm zusammen. Das Sujet dieser Oper hat etwas mit Meer und mit Hafen zu tun, mit Leben am Meer und Leben vom Meer. Und natürlich ist das ein großes Thema für uns als Hamburger. Irgendwo gibt es eine direkte Verbindung zwischen den Leben in Fukushima und bei uns, eine Sensibilität. Und da haben wir gedacht, das könnte für uns ein interessantes Thema sein. Aber das Thema ist universell. Über Kernkraft gibt es immer große Konflikt und Diskussionen. Wie sollen wir mit ihr umgehen? Es gibt immer große Probleme mit dieser Technologie. Man fühlt sich nie hundert Prozent sicher. Und wir haben die Beispiele von Tschernobyl und Fukushima und die Auswirkungen auf die Natur. Hier sehen wir, dass der Preis, den man bezahlt, wenn etwas außer Kontrolle geht, unglaublich hoch ist. Das wirkt viel länger nach, als wir Menschen denken können. Wenn wir also im 21. Jahrhundert überlegen, woher künftig die Energie kommen soll, dann müssen wir das genau abwägen. In dieser Oper wird aber nicht nur die Natur oder die ökologische Ebene diskutiert, sondern sie geht tief in die Psychologie der Menschen von Fukushima hinein. Das, was dort passiert ist, kann auch uns passieren.

BR-KLASSIK: Es gibt in der Oper einen engen Bezug zu Japan, auch Einflüsse aus der japanischen Theater- oder Musiktheatertradition, zum Nō-Theater, konnte man lesen. Jetzt die Frage an Sie persönlich, Herr Nagano: Fühlen Sie sich dem Thema vielleicht auch besonders nah, weil Ihre Großeltern aus Japan eingewandert waren?

Kent Nagano: Die Familie Nagano ist 1893 nach Amerika gekommen. Das ist sehr lange her. Ich kann nicht sagen, dass ich Japaner bin, weil es einfach nicht wahr ist. Meine Familie ist jetzt 120 Jahre in Amerika. Unsere Wurzeln sind nicht komplett vergessen. Ich, zwei Generationen später, kenne das Fundament von Nō-Theater, Kabuki-Theater, den klassischen japanischen Künsten. Das habe ich als Kind von meinen Großeltern gelernt. Das alles ist einerseits ganz fern, aber es gibt eine vielschichtige Verbindung mit Japan. Auch durch Fukushima, weil ich glaube, dass mich wie fast jeden die Katastrophe bewegt hat.

Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.

Premiere "Stilles Meer" in Hamburg

Sonntag, 24. Januar 2016, 18.00 Uhr - Staatsoper Hamburg
Weitere Aufführungstermine: 27. und 30. Januar, 9. und 13. Februar

Inszenierung: Oriza Hirata
Dirigent: Kent Nagano
Bühnenbild: Itaru Sugiyama
Kostüme: Aya Masakane
Licht: Daniel Levy
Dramaturgie: Janina Zell

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