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"Speere Stein Klavier" bei der Münchener Biennale Alpenidylle und das Erbe der Nazis

Gemütliche Bierseligkeit im Herzen Bayerns und die Berge vor der Haustür - in München ist die Welt noch in Ordnung. Sollte man meinen. Ein ganz anderes Bild aber zeigt die Uraufführung von "Speere Stein Klavier" bei der Münchener Biennale: Das Stück bringt einiges aus der Geschichte Münchens ans Licht - von der Hitler-Zeit bis zu den Olympischen Spielen.

"Speere Stein Klavier" bei Münchner Biennale | Bildquelle: A.T. Schaefer

Bildquelle: A.T. Schaefer

Frei herumlaufende Kühe sind vielleicht DAS Thema in "Speere Stein Klavier". Aber zu den Kühen etwas später. Denn erst einmal gibt es auf der Bühne eine Art Objektgeschichte zu erleben, das Ergebnis einer akribischen Spurensuche. Das Team um Komponist Genoël von Lilienstern, Regisseur Christian Grammel und Dramaturgin Elisabeth Tropper hat in mühevoller und jahrelanger Kleinarbeit Objekte, Filmsequenzen, Musik und vieles mehr zusammengetragen. Von der Musikhochschule über die Granitplatte bis hin zum Porzellanlöwen - das Stück fragt nach dem nationalsozialistischen Erbe bestimmter Orte und Objekte, ein Erbe, das noch heute nachklingt, wenn man denn hinschauen und hinhören mag.

Kinderspiel um Nazi-Erbe

Wer von den fünf Figuren auf der Bühne die nächste Objektbeschreibung vorlesen darf, entscheiden sie per Schnick Schnack Schnuck. Schere Stein Papier, ein Kinderspiel. Der Gewinner liest sodann das Archivdeutsch aus den Akten vor. Zu einer lebensnäheren Sprache finden die Figuren erst am Ende, ein bisschen. Aber im Fokus von "Speere Stein Klavier" stehen sowieso nicht die Figuren, auch wenn Yassu Yabarra  sie liebevoll und detailreich kostümiert hat. Jede als Symbol für ein anderes Jahrzehnt, eine andere Generation. Im Fokus von "Speere Stein Klavier" steht das Material. Nach einer knappen Viertelstunde dann endlich: Musik. Danach wieder viel Archivdeutsch. Die Macher verstehen ihr Projekt "als eine Art komponiertes Theater". Da wird auch die Musik selbst zum Material. Genoël von Lilienstern hat einen Marsch der Hitler-Jugend von Werner Egk in einen braven Schlager umgetextet und uminstrumentiert. Schriften von Orff und Wagner hat er mit Musik unterlegt, für die er sich bei deren Musiksprache bedient hat. Und er hat Carl Orffs "Einzug und Reigen der Kinder" für Olympia 1936 dessen "Gruß der Jugend" für Olympia '72 gegenübergestellt.

Es gibt auf jeden Fall viel zu sehen auf der Bühne bei "Speere Stein Klavier". Das Bühnenbild ist zweigeteilt: oben, über die gesamte Breite, ein Alpenpanorama, mal nebelverhangen, mal im Sonnenschein. Das sieht heimelig aus. Doch ganz schnell geht es hinab in die Niederungen der Menschheit - über eine kleine Rutsche erreicht man das untere Bühnenbild: vor holzvertäfelter Kulisse findet sich da ein ganzes Sammelsurium: blaue Cocktailsessel aus den 50ern, Opaltischchen aus den 60ern, ein grüner Polsterstuhl aus den 70ern, ein Fernseher, Lampen aus verschiedenen Epochen und und und ... Gemütlich - irgendwie. Mittendrin bergeweise Akten und Kartons mit noch mehr Akten. Und die Figuren. Ein Mann im 70er-Look mit Polyesterschlaghose und Rollkragenpulli bringt Slapstick ins Stück. Er stolpert auf die Bühne, verfängt sich immer wieder im Chaos der Akten. Das ist zugegebenermaßen etwas plakativ, viel Witz passiert hier aber eher nebenbei. Viele der faktenbasierten Objektbeschreibungen wirken einfach absurd. Die Propaganda-Lieder von einst sowieso.

Kühe in glitzernder Abendrobe

Dass "Speere Stein Klavier" nicht in Klamauk abrutscht, das liegt auch an den hervorragend besetzten Protagonisten, allen voran Sopranistin Samantha Gaul und Bariton Georg Festl. Und die Kühe, von denen ich sprach? Die kommen, etwas überraschend, in Form eines Chores. Und etwas überraschend: in Abendgarderobe, die Damen in glitzernde Kleidern, die Herren mit Fliege. Vorm Alpenpanorama legt der Opernchor des Theaters Augsburg nicht nur eine stimmlich gute Performance hin: Die Sängerinnen und Sänger stehen als Symbol für die gutverdienende Oberschicht der Jetzt-Zeit, die sich ausgiebig echauffiert und empört über die Gräueltaten der Nazis. Da klingt die Carmina Burana an, wird persiflierend zitiert, aus der "Fortuna" wird eine "Fornatu". Über viel Oh und Ah kommt die Empörung der sogenannten Entscheidungsträger aber nicht hinaus. Da ist es doch einfacher, sich ein bisschen blöd zu stellen. Blöd, wie es sprichwörtlich die Kühe sind. Zwischen revuehaft und spröde ist das Stück vor allem erfrischend politisch. Gerade heute, wo Gespräche mit Zeitzeugen rar werden, ist ein so unterhaltsamer Umgang mit Geschichte ein Geschenk.

"Speere Steine Klavier" bei der Münchner Biennale

Komposition: Genoël von Lilienstern
Regie: Christian Grammel

Kompositionsauftrag der Landeshauptstadt München zur Münchner Biennale
Koproduktion der Münchener Biennale mit dem Theater Augsburg

Uraufführung: 5. Juni 2016
Gasteig, Carl-Orff-Saal
Weitere Vorstellungen: 6. und 8. Juni, 20.00 Uhr

Alle Informationen zum Stück finden Sie hier.

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