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BR-Klassik vergibt 2023/2024 einen Operetten-Frosch Der Frosch geht an das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz für "Der Fürst von Pappenheim"

BR-KLASSIK gratuliert dem Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz, dem Intendanten, dem Regieteam und allen Mitwirkenden zu großem Operettenmut.

Steckbrief

"Der Fürst von Pappenheim" von Hugo Hirsch im Eduard-von- Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz - inszeniert von Christian von Götz

Los geht´s
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..im Modesalon der Madame Pappenheim, wo Stefanie Ritter als Chefin in blumigem Ambiente Hof hält und die Berliner Lebewelt der 20er Jahre von Didi empfangen wird, bei Maria Rüssel eine kühle, mannstolle Domina im Marlene-Dietrich-Anzug- eine Mischung aus Vamp und Soubrette. Als sich die Bühne dreht, sieht man die verarmten Verlierer dieser Zeit. Schließlich herrscht Inflation.

Verblüffend:
...der späte Auftritt der Titelfigur Egon Fürst, Vertreter des Modesalons Pappenheim, in Frauenkleidern, großartig gespielt von Richard Glöckner, der noch dazu ganz bodenständig sächselt – sehr zur Freude des Publikums. Ein witziger Kontrast zur grandiosen Travestieshow, die er dabei abzieht. Sie kommt bei Hirsch so nicht vor, dafür aber in der Stummfilmversion der Operette von 1927. Da trägt der jüdische Schauspieler Curt Bois in der Titelrolle Fummel. In Annaberg tritt er am Schluss sogar persönlich als Figur auf und singt ein Couplet, das besagten Bogen von 1923 zu 2023 spannt. Regisseur Christian von Götz macht aus Bois' Stummfilm-Travestie-Auftritt den Dreh- und Angelpunkt seiner Inszenierung. Richard Glöckner spielt also einen sächselnden Curt Bois, sehr überzeugend und durchgehend en travestie, aber damit ist er nicht allein. Man sieht sehr viele Männer in Strapsen, fast zu viele. Denn das schwächt zum einen Glöckners Rolle und verschenkt zum andern den eigentlichen Clou der Inszenierung: Dass nämlich der Egon Fürst im 2. Akt die Pappenheimschen Kleider so gut verkauft, dass sogar die Männer sie tragen wollen.

Urkunde für "Der Fürst von Pappenheim" an das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz | Bildquelle: BR-Klassik Operetten-Boulevard Bildquelle: BR-Klassik Operetten-Boulevard

Erstaunlich:
Wie sich die Frauenfiguren des Stücks in dieser Travestie behaupten, vor allem die junge Sopranistin Sophia Keiler als unkonventionelle Prinzessin, die als Mannequin arbeitet und unbeschadet aller 20er-Jahre-Klischees eine moderne Frau verkörpert. Mit österreichischem Schmäh und viel Gefühl spielt sie ihre gar nicht prinzessinnenhafte Rolle und singt noch dazu märchenhaft.

Herausragend:
Wie hier die lange vergessene Musik von Hugo Hirsch zu neuem Leben erweckt wird. Selten operettig, geht es bei diesem Komponisten handfest zu, gern im typischen Berliner Marschtempo, egal ob das "Herz gerade Hops" geht oder „Mit der Mitropa durch ganz Europa“ - echte Gassenhauer, aber aus vornehmen Gassen. Das gilt besonders auch für die Instrumentierung. Die ist original 1923, weniger jazzig als erwartet, eher klassisch sinfonisch. Und GMD Jens Georg Bachmann hat dafür mit der Erzgebirgischen Philharmonie Aue eine gute Klangmischung gefunden: nicht zu krachert, aber flott und elegant.

Mitreissend:
....ist die Spielfreude des Ensembles, außer Glöckner und Keiler auch der Bariton Jakob Hofmann, überzeugend als gar nicht schüchterner Fußfetischist Hektor. Jede Figur hat eigene Kontur, selbst Knallchargen wie László Varga als messerstechender Russe oder Christian Wincierz als masochistischer Prinz im Negligé. Und bei einer Operette besonders wichtig: Man versteht jedes Wort der witzigen Liedtexte des damals erst 18-jährigen Willi Kollo. Der dramaturgische Bogen von 1923 zu 2023 wirkt oft etwas bemüht und überspannt, nicht nur in puncto Diversität, sondern auch politisch. Weder das Erstarken der Rechten, noch die Verarmung durch die Inflation kommen wirklich zur Geltung, auch wenn der Chor als Proletariat in Alltagskleidung auftritt und der genderfluiden Hautevolee frierend beim Feiern zuschaut. Als überdrehter Operetten-Schwank aber, gespickt mit schmissigen 20er-Jahre-Schlagern, funktioniert die Inszenierung bestens - und das ist heutzutage ja auch nicht von Pappe!

Sei kein Frosch, küss ihn: Das Team vom BR-Klassik Operetten-Boulevard ist begeistert und gratuliert der ETO zu großem Operettenmut!

Inszenierung und Ausstattung: Christian von Götz
Musikalische Leitung: Jens Georg Bachmann
Choreographie: Leszek Kuligowski

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