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Zu Puccinis Oper "La fanciulla del West" Tragischer Hintergrund eines Happy Ends

Am 16. März hat Giacomo Puccinis "La fanciulla del West" an der Bayerischen Staatsoper in einer Neuinszenierung von Andreas Dresen Premiere. "Das Mädchen aus dem Goldenen Westen", wie die Oper auch heißt, wird nicht allzu oft aufgeführt. Bei allem Trubel während der Entstehung war Puccinis Uraufführung an der MET ein großer Erfolg.

Komponist Giacomo Puccini und seine Frau | Bildquelle: picture-alliance/leemage

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Bild: Giacomo Puccini und seine Frau Elvira

Es war ein Wintermorgen des Jahres 1909, da hatte sich Doria Manfredi, Dienstmädchen im Hause Puccini, gegen zehn Uhr morgens in der Dorfapotheke von Torre del Lago Sublimat besorgt, ein reinigendes Desinfektionsmittel. Dass man es nicht schlucken dürfe, hatte der Apotheker ihr bestätigt. Eine Stunde später ließ Doria daheim ihr Grammophon erschallen: eine Aufnahme der Sterbeszene aus "Madama Butterfly". Sie betrachtete das Porträt des von ihr vergötterten Puccini, des damals berühmtesten italienischen Opernkomponisten – und vergiftete sich. Fünf Tage hielten die Krämpfe an, dann starb Doria: am 28. Januar um 2.30 Uhr nachts, mit 23 Jahren.

Suizid einer Unschuldigen

Komponist Giacomo Puccini | Bildquelle: picture-alliance/dpa Giacomo Puccini | Bildquelle: picture-alliance/dpa Kurz darauf stellte man bei der noch von Doria beantragten Autopsie die Jungfräulichkeit der Verstorbenen fest. Sie hatte den Freitod gewählt, um der Welt ihre Unschuld zu beweisen, zugleich Puccini vom Verdacht zu befreien, er habe sein Dienstmädchen als williges Objekt der Begierde behandelt (wie so viele andere Frauen). Elvira, die mehrfach betrogene Gattin Puccinis, hatte eine öffentliche Anklage gegen ihre vermeintliche Rivalin erhoben – für die Beschuldigte eine schwere Demütigung! Puccinis Frau hatte sich in diesem Fall geirrt und mit der keuschen Doria die Falsche attackiert. Nach ihrem Tod musste sich Elvira vor Gericht wegen Verleumdung rechtfertigen. Puccini wiederum äußerte sich nicht dazu, er verließ schweigend den gemeinsamen Wohnsitz für längere Zeit.

Lichtstrahl in Tönen

In den Monaten zuvor hatte Puccini kein Verhältnis mit Doria, sondern mit einer gewissen Sybil Seligman: Gegenüber dieser Frau fühlte er sich wie ein Troubadour angesichts einer vornehmen Hohen Dame. Die war verheiratet, eine elegante Londonerin, mit Reichtum gesegnet. Von ihr ließ Puccini sich zu seiner Western-Oper "La Fanciulla del West" inspirieren. Zumindest zu einem grandiosen Ohrwurm dieser Oper, dem Thema der Heldin Minnie. Bei Minnies Auftritt im ersten Akt verschlägt es uns den Atem, weil er wie eine Aureole wirkt: ein Lichtstrahl in Tönen. Allein der Akkordfolge wegen hat solche Musik nur einem Erotomanen einfallen können. Auch wenn ausgerechnet der zwölftönig schreibende Komponistenkollege Anton Webern später in diesem Bühnenwerk Puccinis "kein Gramm Kitsch" finden konnte – Sybil Seligman hat die Partitur nachhaltig euphorisiert. Ohnehin war sie für das Projekt die treibende Kraft gewesen. Niemand anderes als Sybil hatte Puccini die italienische Übersetzung des zugrundeliegenden Theaterstücks besorgt – für ihn wohl der entscheidende Impuls, das Schauspiel zu einer Oper zu machen. Zum endgültigen Titel riet Sybil, als Puccini noch schwankte zwischen "La figlia del West / Die Tochter aus dem Westen" und "L'occidente d'oro / Der Westen des Goldes". Gegenüber seiner Londoner Muse bezeichnete Puccini "La fanciulla del West" später schlicht und einfach als seine beste Oper überhaupt.

Geldsegen für die Metropolitan Opera

Der Tenor Enrico Caruso; Fotografie um 1912 | Bildquelle: picture alliance / akg Sang bei der Uraufführung von "La Fanciulla del West" mit: der große Tenor Enrico Caruso | Bildquelle: picture alliance / akg Die Uraufführung fand nicht etwa an der Mailänder Scala statt, sondern in New York: an der Met. Puccini war im Herbst des Jahres 1910 mit dem Dampfer "George Washington" zu den Endproben angereist, sein Sohn Antonio und Tito Ricordi, der Sohn des befreundeten Verlegers Giulio, begleiteten ihn. Elvira hatte an der Reise nicht teilnehmen dürfen, weil ihr Mann sie strafen wollte für die Verleumdung des Dienstmädchens Doria und deren schreckliche Folgen. Nicht weniger als 55 Vorhänge gab es für den Komponisten am Premierenabend des 10. Dezember, der Triumph bescherte der MET allein durch die ersten vier Vorstellungen der "fanciulla" eine beträchtliche Geldsumme (nach heutiger Kaufkraft umgerechnet etwa sechs Millionen Euro). Das linderte Puccinis Ärger über den Dirigenten Arturo Toscanini, der Retuschen an der Oper für angemessen gehalten hatte. Freude hatte der Komponist aber auch an der Sängerbesetzung in New York: Die Prachtstimmen von Enrico Caruso, Pasquale Amato und Emmy Destinn adelten seine musikalischen Ideen.

Oper ohne Sterbeszene

Die Arbeit an seinem jüngsten Werk hatte Puccini zwischendurch monatelang unterbrechen müssen. Seine privaten Probleme waren ihm über den Kopf gewachsen. Deshalb gibt es in der "fanciulla" neben geglückten Passagen auch weniger geglückte: Es hat den Anschein, als hätte dem Komponisten bisweilen die Konzentration gefehlt, um sich sozusagen neu zu erfinden. Genau dies hielt er anlässlich der Goldgräber-Story für notwendig, jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt. Denn Puccini suchte den Anschluss an die historische Entwicklung, die Debussy mit "Pelléas et Mélisande" und Richard Strauss mit "Salome" vorangetrieben hatten. Der Italiener wollte sich im Kräftemessen mit den Kollegen Respekt verschaffen, nicht einfach nur unreflektiert am eigenen, gesangsorientierten Erfolgsrezept festhalten. Den Ruf, in Sachen Orchesterbehandlung, in Sachen Instrumentalfarben erstklassig zu sein, hat Puccini sich unter Kennern gerade durch die "fanciulla" errungen. Allerdings bot die Titelgestalt der Minnie ihm keine Gelegenheit, den Schuld- und Mutterkomplex kompensierend auszuleben, den er selbst als seinen "neronischen Instinkt" bezeichnete. Ihn gab er einmal als Grund dafür an, dass seinen Bühnenfiguren von Manon über Mimì und Tosca bis Butterfly stets Leid und Tod beschieden waren. Für Minnie hingegen verzichtete Puccini auf eine seiner Spezialitäten: die der Sterbeszene. Und dafür gab es eben autobiografische Gründe – Stichwort Doria.

Erlösungsgedanke in profaner Ausprägung

Die aktuelle Bühnenheldin sollte Puccini von der heimischen Tragödie ablenken: Minnie weiß ihre zeitweilige Not zu wenden, naiv und entschlossen zugleich, etwas überspannt und durchaus bigott. Als Falschspielerin rettet sie dem Geliebten das Leben. Zum High Noon am Ende tritt sie walkürenhaft wie eine bewaffnete dea ex machina auf, wenn es der Rettungsaktion für "ihren" Banditen gilt. Ihn stuft sie zuletzt als reuigen Sünder ein. Und der Erlösungsgedanke in profaner Ausprägung, der Sieg des Guten über das Böse, ist dem Happy End der Oper eingraviert. Zweifellos: So sehr Puccini auch gewohnt war, die Eroberung von immer neuen Frauen als Inspirationsquelle zu betrachten, so sehr war er diesmal bemüht gewesen, dem damit verbundenen privaten Gefühlschaos so etwas wie eine Erlöserin als Fleisch gewordene Fantasie auf der Opernbühne gegenüber zu stellen. In "La fanciulla del West" setzte er alles daran, den ganzen Ärger um Doria – und Elvira – zu vergessen.

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Bayerische Staatsoper
Premiere: 16. März 2019, 18:00 Uhr

Inszenierung: Andreas Dresen
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Leitung: James Gaffigan

Premieren-Übertragung BR-KLASSIK bis 14. April hier anhören!

Infos zu Terminen und Besetzung finden Sie auf der Homepage der Staatsoper.

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