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Salzburger Festspiele

20. Juli bis 31. August 2023

Kritik - Händels Ariodante in Salzburg Kraftwerk der Gefühle

Seit 2012 leitet Cecilia Bartoli die Salzburger Pfingstfestspiele mit einem ebenso simplen wie erfolgreichen Prinzip: jedes Jahr schlüpft sie einfach selbst in mindestens eine Rolle und wagt sich auch an Rollendebüts. Heuer hat sie Händels "Ariodante" auf die Bühne gebracht - mit sich selbst in der Titelpartie. Als Regisseur konnte sie Christoph Loy gewinnen, der dem mittelalterlichen Ritterepos als Grundlage nahm für eine Studie über Wahrheitssuche, Geschlechterrollen und Identitäten. Am 16. August fand die Premiere der Wiederaufnahme im Rahmen der Salzburger Festspiele statt.

Szenenbild aus "Ariodante" mit Cecilia Bartoli bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2017 | Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Hier anhören: Die Kritik zur "Ariodante"-Wiederaufnahme in Salzburg

Der schneeweiße, sich nach hinten verjüngende Guckkasten mit nur einem Sofa als festem Requisit macht von Beginn an klar: Hier geht es um die Personen und ihre Schicksale, den Liebestaumel und Schmerz, den Wahn und die Rache und all die anderen Gefühlslagen, die Händel so wunderbar facettenreich und detailverliebt ausgelotet und in Klang übersetzt hat. Zeitlos schön und packend. Also hat Christoph Loy seine Inszenierung auch irgendwie zeitlos zwischen den Epochen angelegt. Da trifft dann Rüstung auf Businessanzug oder Barockperücke auf Cocktailkleid.

Subtile Mimik und Gestik

Und das funktioniert. Und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen vertraut Loy ganz der Musik. Händels geniale Details etwa in begleitenden Rezitativen, in reibenden Intervallen und harschen Brüchen sind Dreh- und Angelpunkt für die ausgeklügelte Personenregie, die subtile Mimik und Gestik und - wo es passt - auch für ironische Brechungen: Mal im da-capo Teil einer Arie, als Ariodante einen über den Durst trinkt; oder in den Balletteinlagen, die dank mal witziger, mal verstörender, immer aber kluger Interaktion zwischen Tänzern und Sängern überhaupt nicht fremd und sperrig wirken, sondern im besten Sinne unterhaltend.

Die Inszenierung in Bildern

An die Grenzen der psychischen Substanz

Und da es nun einmal aufführungsbedingt naheliegt, bringt Loy dann auch Existenzialistisches unter: Wer sind wir, und warum? Also darf sich Ariodante vom Mann zum Mann in Frauenkleidern, dann zur Frau in Frauenkleidern wandeln. Naja. Die besten Momente erreicht Loy, wenn es an die psychische Substanz geht - Ariodantes Verwünschung seiner Geliebten Ginevra etwa, oder Ginevras Unschuldsbeteuerungen, ihre Verlorenheit, ihr heranschleichender Wahn. Endlich wird einmal das oft zitierte Kraftwerk der Gefühle in jeder Faser miterlebbar, selten scheint ein gesamter Saal das Atmen so kollektiv zu vergessen.

Fulminante Pianissimo-Kultur

Ariodante bei den Salzburger Sommerfestspielen 2017: Rolando Villazón (Lurcanio) | Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus Ariodante bei den Salzburger Sommerfestspielen 2017: Rolando Villazón (Lurcanio) | Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus Das funktioniert aber auch, weil Regisseur Loy auf ein grandioses Sänger-Darsteller Ensemble getroffen ist. Bis auf Rolando Villazón, der in der Rolle von Ariodantes Bruder Lurcanio neu hinzugekommen ist, steht die Besetzung der Pfingst-Aufführung auf der Bühne. Und bezeichnenderweise tut sich gerade Villazón hör- und sichtbar am schwersten: Sein immer kehliger werdender Tenor hangelt sich nur mit Mühe durch die Koloraturen. Das kann man von den anderen vier Protagonisten nicht behaupten: Christophe Dumaux gibt den Intriganten Polinesso mit zwar nicht großem, aber schwerelos perlendem Counter. Sandrine Piau überzeugt als naive Hofdame Dalinda mit dunklem und klar fokussiertem Sopran. Cecilia Bartoli wirft sich in der Titelrolle einmal mehr ins Zeug, mit allem, was sie zu bieten hat, und das ist viel. Abgesehen von den schauspielerischen Qualitäten zeigt sich ihre Stimme in der Tiefe gurrend präsent, die Koloraturen kommen flüssig und akkurat wie aus der Nähmaschine - und ihre Pianissimo-Kultur ist beeindruckend.

Sensibles Dirigat

Kathryn Lewek ist der Bartoli eine ebenbürtige Bühnenpartnerin: Ihr An- und wieder Abschwellen der Stimme in höchster Höhe, die deklamatorische Selbstaufopferung für die Szene sind grandios. Gejagt, eingefangen und umschmeichelt werden alle vom ausgezeichnet aufgelegten Ensemble Musiciens du Prince unter der sensiblen Taktführung Gianluca Capuanos. Viereinhalb Stunden Barockoper ohne eine Minute zu viel - ein echter Coup.

Sendung: "Allegro" am 17. August 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Ariodante" in Salzburg

Salzburger Festspiele 2017

Georg Friedrich Händel:
Ariodante
Dramma per musica in drei Akten HWV 33 (1734)

Ariodante: Cecilia Bartoli (Mezzosopran)

Weitere Vorstellungen:
16. August 2017, 19.00 Uhr / 18. August 2017, 19.30 Uhr / 22. August 2017, 19.00 Uhr / 25. August 2017, 15.00 Uhr / 28. August 2017, 19.00 Uhr
Salzburg, Haus für Mozart

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